Schnee in der Kugel aus Hernals
Was Thomas A. Edison mit den weltweit bekannten Schneekugeln zu tun hat
Von Michael Mössmer

 

erstellt am
01. 04. 03

Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Werkzeugmacher in Hernals, dem 17. Wiener Gemeindebezirk, hat sich auf die Herstellung von hochwertigen Instrumenten spezialisiert, die von namhaften Chirurgen für Operationen verwendet wurden. „Von der


»Silvester-Blei«- und »Schneekugel«-Erfinder Erwin Perzy I.

Foto: Perzy
Stange“ gab es gerade die einfachsten Instrumente. Damals, als sich nahezu von einem Eingriff zum anderen medizinische Errungenschaften einstellen konnten, wurde die entsprechende Gerätschaft, in engster Zusammenarbeit von Arzt und Werkzeugmacher, immer wieder weiterentwickelt. Einer dieser begnadeten Handwerker von Wien war Erwin Perzy (der Erste, wie er nach der Geburt seines ersten Sohnes, Erwin, dann genannt werden sollte).


Aber der Erfindergeist des 1876 geborenen Wieners beschränkte sich nicht darauf. In einer im Haus seiner Eltern eingerichteten Werkstatt entstanden zahlreiche Erfindungen, Spielsachen für Jung und Alt, aber auch das beliebte „Silvester-Blei“. Die Verwendung von echtem Blei für den beliebten Silvesterbrauch war Perzy zu mühsam, dauerte doch das Schmelzen über einer Kerzenflamme viel zu lange. Auch war Blei nicht so einfach zu bekommen. Kurzerhand entwickelte er eine Zinnlegierung mit einem wesentlich niedrigeren Schmelzpunkt und gab dem Material schließlich die bis heute bekannten Formen: Laternderln, Glockerln, Schweinderln usw.


Erfindergeist trifft »Schusterlampe«
Doch kehren wir wieder zurück: Erwin Perzy war den Wiener


Die Schusterlampe »bündelt« das Licht

Foto: Perzy
Chirurgen als hervorragender Handwerker bekannt, aber auch dafür, daß er sich oft nächtelang mit der Lösung von technischen Problemen herumschlug. Erfindergeist hatte er ja bereits des öfteren bewiesen. Eines Tages erzählte man ihm von einem gewissen Thomas Alva Edison, dem es im fernen Amerika gelungen sein sollte, mit elektrischem Strom sogenannte Glühbirnen so zum Leuchten zu bringen, daß ganze Räume, ja Straßenzüge des Nachts erhellt werden konnten. Gerade für Operationssäle, so waren sich die Wiener Chirurgen sicher, wäre das eine besondere Verbesserung. Nur, so schränkte man ein, gebe es noch Probleme mit der Haltbarkeit des Kohlefadens, der noch viel zu schnell den Geist aufgab. Ob er, Perzy, nicht darüber nachdenken wolle, meinten sie. Es sei ihm doch schon so viel Praktisches eingefallen.


Gesagt, getan. Erwin Perzy erinnerte sich sofort an die sogenannte „Schusterlampe“, die dem befreundeten Schuhmacher etwas besseres Licht in dessen Werkstatt spendete, als dies nur mit Kerzen oder Petroleum möglich war. Ein birnenförmiger Glaskolben wurde mit Wasser gefüllt und derart vor


Der erste »Stephansdom«

Foto: Perzy
brennenden Kerzen plaziert, daß deren Licht durch die Wölbung der Lampe in eine bestimmte Richtung gebündelt wurde. Perzy besorgte sich also von diesen Glaskolben und stellte Versuche an, indem er – durch seinen Beruf bedingt war er auch im Umgang mit Chemikalien vertraut – vorerst einmal verschiedene Flüssigkeiten als sozusagen Lichtbündler einsetzte. Eine der Varianten war, daß er feinste Metallspäne beimengte, um so für stärkere Reflexion zu sorgen. Da fiel ihm auf, daß das langsame Absinken der Flocken wie leichtes Schneien wirkte.


Ein Freund Perzys hatte ein Andenken-Standl vor der Mariazeller Basilika. Das inspirierte Perzy, ein kleines Modell dieser berühmten Wallfahrtskirche im niederösterreichischen Voralpenland zu gestalten, das er in einen mit Wasser und ein paar Gramm Grieß gefüllten Glaskolben applizierte. Der wurde verschlossen und mit einem hölzernen Fuß versehen. Bei jeder Drehung schneite der zu neuer Funktion gekommene Grieß auf die Miniatur des berühmten Bauwerkes. Und löste eine Faszination aus, die auch heute zig Tausende Male jährlich und unverändert von neuem entsteht. Perzy schenkte diese Glaskugel seinem überraschten Freund. –


Aufgrund dieser Planskizze entstand die erste »Kugel mit Schneeffekt«

Foto: Perzy
Sie haben es bereits geahnt: Das war der Moment, in dem der weltweite Siegeszug der „Original Wiener Schneekugeln“ begann.


Schnell stellte sich heraus, daß nicht nur der Freund begeistert war, sondern auch dessen erste Kunden, denen er das Unikat zeigte. Wallfahrer, die wohl schon alles Mögliche mit nach Hause gebracht hatten, bestanden darauf, bei nächster Gelegenheit eine Mariazeller Schneekugel erwerben zu können. Perzy ließ sich diese seine Erfindung unter dem Namen „Glaskugel mit Schnee-Effekt“ patentieren und gründete mit seinem Bruder Ludwig, um 1900, nur wenige Häuser vom heutigen Firmenstandort entfernt, einen Gewerbebetrieb. Es folgten Modelle von Maria Taferl, Maria Plein, Maria Loretto und Maria Lanzendorf und jeder hat diese kleinen, abgeschlossenen Welten schon irgendwo gesehen, verbindet Kindheitserinnerungen damit.


Es wäre nicht Erwin Perzy I. gewesen, hätte er es bei diesem Erfolg belassen:


Der erste »Stephansdom«

Foto: Perzy
jetzt ging es daran, mit unterschiedlichsten Materialien für die Modelle zu experimentieren. Da von Anfang an nur reines Wiener Wasser zur Füllung verwendet wurde – und man möchte es kaum glauben, wie aggressiv unser wichtigstes Lebensmittel sein kann – mußte eine entsprechend resistente, aber auch leicht gießbare Masse gefunden werden. So ist das Material des „Schnees“ bis heute bestgehütetes Familiengeheimnis!


Viel schlimmer war es aber mit der Rohstoffbeschaffung nach dem Zweiten Weltkrieg, als Erwin Perzy II. bereits den väterlichen Betrieb übernommen hatte. Da mußte genommen werden, was gerade verfügbar war. So wurden etwa aufgesammelte Altbleche zu „Stephansdomen“ oder Schneemännern verarbeitet. Große Probleme bereitete den Perzys aber die Herstellung der Glaskolben. Der Schmelzofen mußte 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche, ununterbrochen in Betrieb sein, die eigenen Gläsbläser arbeiteten im lückenlosen Schichtbetrieb. Bald aber wurde ein Lieferant gefunden, der diese aufwendige Arbeit übernahm. Erwin Perzy II. konnte sich nun wieder verstärkt dem Kreativem widmen und stellte in den 50er Jahren die Produktion der Modelle von Zinn auf Kunststoff um. Als die ersten Maschinen angeschafft wurden, konnte Perzy der wachsenden Nachfrage besser gerecht werden, die er – unter anderem – von 1955 bis 1957 auf der Spielwarenmesse in Nürnberg auslöste.


Bis nach Amerika reichten dann die Kontakte, die schließlich zum heutigen Erfolg gerade in Übersee führten: die Vereinigten Staaten von Amerika sind zum größten Abnehmerland der jährlich rund 500.000 hergestellten Schneekugeln geworden. Natürlich sind sie auch in unzähligen anderen Ländern der Welt vertreten.


Um den Betrieb kümmert sich mittlerweile Erwin Perzy III, der sich – so schon wie Vater und Großvater – mit dem Erreichten nicht zufrieden gibt. Ständig


Erwin Perzy III. im eigenen »Schneekugel-Museum«

Foto: Österreich Journal
ist er auf der Suche nach neuen Produkten, umweltfreundlicheren Herstellungsmethoden. So verwendet Erwin Perzy III. fast ausschließlich Kunststoffabfall zur „Fütterung“ seiner computergesteuerten Spritzgußmaschinen. Unverändert ist aber der hohe Anteil an Handarbeit, die von vielen Mitarbeitern teils in Hausarbeit erledigt wird. Trotz aller Technik werden die Modelle, deren Formen Erwin Perzy III. selbst gestaltet, nämlich von Hand bemalt. Somit bleibt die „Schneekugel aus Hernals“ im wahrsten Sinne des Wortes Stück für Stück ein Unikat. Der nächste Inhaber wird übrigens nicht Erwin IV heißen: Erwin Perzys 14jährige Tochter hat sich bereits fest entschlossen, den väterlichen Betrieb einmal weiterzuführen.
     
Erwin Perzy III
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