»Opernführer der Nation«  

erstellt am
15. 12. 06

Ausstellungsreigen für Marcel-Prawy – Gedenken in der Wienbibliothek und an anderen Orten seines Lebens und Wirkens
     

Marcel Prawy in »seiner« Staatsoper mit einer Partitur von Richard Wagners »Walküre« in Händen
Foto: Horowitz

Er war der „Opernführer der Nation“ und vieles mehr: in jungen Jahren Sekretär von Jan Kiepura, nach dem Krieg lange Jahre Dramaturg der Wiener Volksoper und mit seinen Matineen und Fernsehsendungen Volksbildner in Sachen Musiktheater. Mit seinem Tod im Jahr 2002 hat Marcel Prawy einen riesigen Nachlaß – archiviert in seinen legendären Plastiksackerln, insgesamt 750 Kisten – hinterlassen, der von der Wienbibliothek im Rathaus erworben wurde. Nach erster, viele Monate währender Sichtung ist nun zum 95. Geburtstag der Legende Marcel Prawy, vom 14. Dezember 2006 bis 13. April 2007 eine Reihe von Ausstellungen unter dem gemeinsamen Titel „Ich mache nur, was ich liebe“ in der Wienbibliothek und an Orten seines Wirkens und Lebens gewidmet. Bibliotheksdirektorin Sylvia Mattl-Wurm stellte diesen „Zwischenbericht“ gemeinsam mit Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, Christoph Wagner-Trenkwitz (Wiener Volksoper), Roland Geyer (Theater an der Wien), Elisabeth Gürtler (Hotel Sacher), Helmut Lenhardt (Haus der Musik) und dem Wissenschaftler Helmar Kögl, der das Material aufarbeitete, vor. Ausstellungskurator war Norbert Rubey.
   

Zehntausende Dokumente
Zehntausende Dokumente, Bücher, Fotografien, Lebensdokumente, Korrespondenzen, Zeitungssausschnitte, Programmhefte und Tonträger standen für die insgesamt sechs kleinen


Das berühmt gewordene Archiv von Marcel Prawy: »Billa«- Sackerln auf dem Boden seiner ganzen Wohnung, doch – wohlgemerkt: keineswegs verstreut!               Foto: Horowitz
Ausstellungen zur Auswahl, die in ihrer Summe ein plastisches Bild vom Leben und Wirken Marcel Prawys, seiner Persönlichkeit, seiner Liebe zur Musik, seiner Freundschaft mit Komponisten, Sängern, Direktoren etc., seiner Präsenz in den Medien und auch seiner Beliebtheit beim Publikum geben.

»Seine« Staatsoper
Seinen eigentlichen Wohnsitz sah Prawy in der Wiener Staatsoper. In allen Künstlerinnen und Künstlern des Musiktheaters, ja sogar in manchen Opernrollen, sah er „seine Familie“. Er war stolz darauf, als Berater, Vermittler und oft auch als Freund in ihrem Schatten zu leben. Sie zollten ihm Dank, Respekt und Anerkennung. Zahlreiche ausgestellte Schriftstücke, Widmungsfotos und anderes mehr spiegeln diese Beziehung wider. Die Ausstellung visualisiert Prawys Karriere vom Stehparterre in die Direktionsloge, vom Sekretär des Startenors Jan Kiepura, dessen Büste sich in Prawys Nachlaß findet, bis zum Chefdramaturg, als der er bei der szenischen Umsetzung eines Bühnenwerks vor allem die Intentionen des Komponisten und Textdichters vor Augen hatte. Diese Sichtweise führte mitunter zu heftigen Auseinandersetzungen, die in spannend zu lesenden Schriftstücken und Zeitungsartikeln überliefert sind.
Die Wienbibliothek widmet sich im Ausstellungskabinett dem Thema „Ein Leben für die Oper“ und in der Musiksammlung der Tätigkeit von Prawy als „Autor, Lehrer, Produzent“. In der Volksoper, die er als Dramaturg auch zur ersten Musicalbühne Wiens nach 1945 mit Erfolgen von „Kiss me Kate“ bis zur „Westside Story“ machte, steht das Thema „Musical und Operette“ im Vordergrund, im Theater an der Wien sein Wirken als „Opernführer der Nation“. Das „Haus der Musik“ widmet Prawy eine kleine Ausstellung im frei zugänglichen Innenhof zu seinem privaten Lebenslauf und das Hotel Sacher erinnert sich seines durchaus anspruchsvollen Gastes unter dem Titel „Wohnen ohne Sorgen“.

Die Ausstellung, die auf mehrere Orte auf „Prawy‘s Spuren“ aufgeteilt ist, ist nach folgenden, charakteristischen Kategorien geordnet:

Der private Lebenslauf
Marcel Prawy‘s Jugend bei unterschiedlichen Tanten und Onkeln und sonstigen Verwandten über seine Funktion als Sekretär des Sängers Jan Kiepura bis heraus zu seiner Profession als Dramaturg der Staatsoper und als „Mister Oper“ in seinen TV-Sendungen und sonstigen Aktivitäten.

Wohnen ohne Wohnung
Marcel Prawy und sein Leben im Hotel. „Es ist meine Überzeugung, daß wir unsere Wohnungen nur lieben, weil wir uns nicht leisten können im Hotel zu leben.“ Marcel Prawy konnte sich das Leben im Hotel leisten – in aller Bescheidenheit, frei nach Oscar Wilde.
Leben für die Oper
Marcel Prawy‘s öffentliches Liebesleben. „Eine Oper ist keine Oper, wenn sie uns nicht süchtig danach macht sie omnipräsent in unserem Leben zu haben.“



Autor, Lehrer und Produzent
Marcel Prawy hat zahlreiche Bücher über die Oper und über Künstlerinnen und Künstler geschrieben, er hat an unterschiedlichen Universitäten im In- und Ausland gelehrt und kulturelles Management in Wien unterrichtet. Er war künstlerischer Leiter von Remington, betrieb aber auch ein eigenes Schallplattenlabel und hat hunderte LPs herausgegeben: mit wechselhaftem Erfolg. Heute sind seine Platten Raritäten für Sammler. „Marcel Prawy sagt freilich nie etwas Falsches, aber er ist kein Wissenschafter“, äußerte sich der ehemalige Wiener Operndirektor Egon Seefehlner über Marcel Prawy.

Musik und Operette
Marcel Prawy hat das Musical nach Wien gebracht, eine Unterhaltungsform die es bislang nur in den USA gab. „Die Operette ist tot – es lebe das Musical – hieß es damals, heute leben beide Formen nebeneinander. Wien ist internationales Zentrum für Operette und Musical. „Er war fähig, alle anzuzünden. Wir haben gebrannt für das Musical und Marcel Prawy war der große Anzünder“, sagte Walter Hoesslin über Marcel Prawy.

Opernführer der Nation
Wenn es jemanden gab, der die Bedeutung des Mediums Fernsehen schon frühzeitig erkannte und es als Transportmittel für die Popularisierung der Oper verwendete, dann war es Marcel Prawy, der als „Opernführer“ zum Liebling der österreichischen Nation wurde. Seine Sendungen hatten Einschaltquoten, von denen manche Produzenten heute nur mehr träumen können. Marcel Prawy dazu: „Ich habe stets in meinem Leben, seit ich Wissen vermittle, das einzige gelehrt, was mit zu lehren wert schien: Liebe.“


Sein Leben
Marcel Frydmann von Prawy wurde am 29. Dezember 1911 in Wien als Sohn einer wohlhabenden Beamtenfamilie geboren. Sein Vater war Ministerialrat am Verwaltungsgericht. Nach dem Schulabschluß studierte der junge Prawy Rechtswissenschaften und hörte daneben musikwissenschaftliche Vorlesungen bei Egon Wellesz. Obwohl er 1934 als Dr. juris promovierte und danach eine zweijährige Gerichtspraxis absolvierte, galt seine ganze Liebe schon damals dem Musiktheater. 1939 zwang ihn das nationalsozialistische Regime in die Emigration nach den Vereinigten Staaten. In dieser Zeit war er als Sekretär und künstlerischer Berater von Martha Eggerth und Jan Kiepura tätig, arbeitete aber auch bei der Produktion von Operetten und Musicals mit. 1943 trat er in die amerikanische Armee ein, mit der er 1946 als Zivilbeamter der Besatzungstruppen nach Wien zurückkehrte. 1950 quittierte er den Militärdienst und widmete sich als Freiberufler der Theater- und Schallplattenproduktion. Im Kosmus-Kino in Wien veranstaltete er musikalische Abende, die er als Autor, Regisseur und Conferencier betreute. Schon damals, noch vor der Einführung des Fernsehens, erreichte er einen Bekanntheitsgrad, der ihn geradezu zu einer österreichischen, musikalischen Institution werden ließ. 1955 wurde er als Dramaturg und Produktionsleiter an die Wiener Volksoper berufen und verhalf dort dem amerikanischen Musical zum Durchbruch in Wien. Mit „Kiss Me Kate” in deutscher Übersetzung brachte Prawy zum ersten Mal ein Musical an einem staatlichen Opernhaus heraus. Es folgten Produktionen von George Gershwins Opern „Porgy and Bess“, der Musicals „West Side Story“, „Showboat“ u. a.

Ein wichtiger Teil seiner Tätigkeit galt der volksbildnerischen Verbreitung seines Wissens um die Oper in Rundfunk und Fernsehen. 1966 wurde Prawy Lehrbeauftragter am Max Reinhardt-Seminar, 1975 wurde er zum Professor am Institut für kulturelles Management an der Wiener Musikhochschule berufen. Er lehrte als Gastprofessor auch an amerikanischen


StR. Dr. Andreas Mailath-Pokorny und Bibliotheksdirektorin Sylvia Mattl-Wurm
Foto: Pressefoto Votava
Universitäten (Yale, New Haven; Columbia University, New York; Rice University, Baltimore usw.) und hielt 1980 Gastvorlesungen an der Tokyo University of Music.

Neben all diesen Tätigkeiten schrieb Prawy auch eine Reihe erfolgreicher Musikbücher, u. a. „Die Wiener Oper“ (1969), „Johann Strauß – Weltgeschichte im Walzertakt” (1975), „Nun sei bedankt – mein Richard Wagner Buch“ (1983) sowie die Selbstbiographie „Marcel Prawy erzählt sein Leben“ (1996). Zahlreich sind auch die Auszeichnungen, die er erhielt, u. a. wurde ihm das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und das Ehrendoktorat der philosophischen Fakultät der Universi-
tät Wien verliehen. Marcel Prawy starb am 23. Februar 2003 im Alter von 92 Jahren.


Die Ausstellungen
Die Ausstellungen sind in Volksoper und Theater an der Wien für die Besucher der Vorstellungen, ansonsten generell frei zugänglich. Die Öffnungszeiten in der Wienbibliothek: Im Ausstellungskabinett, Rathaus, Stiege 6, 1. Stock, Tür 328, Montag bis Donnerstag von 9 bis 18.30 Uhr, Freitag von 9 bis 16.30 Uhr. In der Musiksammlung, 1., Bartensteingasse 9, 1. Stock, Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 9 bis 15 Uhr und Mittwoch von 9 bis 18 Uhr. Der informative, von Norbert Rubey herausgegebene Katalog mit Beiträgen u. a. von Senta Wengraf-Herberstein, Christoph Wagner-Trenkwitz und Elisabeth Gürtler kostet 15 Euro; „Marcel Prawy“-Plastiksackerl kann man um zwei Euro erwerben.

http://www.wienbibliothek.at
Diesen Artikel finden Sie auch im "Österreich Journal" pdf-Magazin, Ausgabe 043
zurück