Ideologie aus 35 Tonnen Marmor

Der Kaiser im Zentrum der Giebelgruppe des Parlamentsgebäudes

Wendet man den Blick von Pallas Athene gerade hinauf, so tritt ein aus Laaser Marmor gestaltetes Relief über den Säulen vor dem Eingang des Parlaments ins Blickfeld, in dessen Mittelpunkt Franz Joseph I. im Habitus eines römischen Imperators dargestellt ist.

Der Kaiser und die Verfassung – ein ungeliebtes Kind

Schaut man sich die von Edmund Hellmer gestaltete, 38 Tonnen wiegende Giebelgruppe des Zentralportikus auf goldfarbenem Hintergrund genauer an und setzt sie mit der historischen Entwicklung in Verbindung, so manifestieren sich darin für den heutigen Betrachter sowohl interessante, vielleicht auch widersprüchliche, Aspekte als auch so manche, in der zeitlichen Distanz eigenartige und zum Schmunzeln anstiftende Elemente.

Bereits die Gestaltung Kaiser Franz Josephs I. birgt einen Stilbruch in sich, empfindet man doch die um den nackten Körper des Herrschers geschlungene Toga als völlig unpassend, zumal sie von den – sicherlich idealisierten – Körperkonturen mehr herzeigt, als sie verbirgt. Das eng am Körper klebende Gewand – in den Beschreibungen taucht auch die Beifügung "nachthemdartig" auf – mag so gar nicht zur Persönlichkeit des Monarchen passen, dessen korrektes Äußeres und Pflichtbewusstsein zu "Markenzeichen" für ihn geworden sind. Abgesehen davon, weist der Porträtkopf den typischen Backenbart auf und korreliert somit in keiner Weise mit der antiken Bekleidung.

Das Thema der Giebelgruppe lautet: "Seine Majestät der Kaiser hat auf Grund der von ihm verliehenen Verfassung die Kronländer zur Gesetzgebung und Beratung um sich versammelt". Dem Kaiser zunächst knien von ihm aus rechts Schlesien, links Salzburg. Es folgen die Allegorien weiterer Kronländer in sitzender, liegender und stehender Pose. Die kompositorische Anordnung der Allegorien der Kronländer um Franz Joseph I. weist auf die überragende Rolle des Kaisers für das Geschick des Reiches hin, was auch der politischen Realität entsprach. Der damit verdeutlichte Machtanspruch des Monarchen, versinnbildlicht auf einer zentralen Stelle des Parlamentsgebäudes, mutet heute fast wie ein Affront gegenüber unserem modernen Verständnis von Parlamentarismus und Volkssouveränität an. Zum Ausdruck gebracht werden damit aber die damaligen Machtverhältnisse im Staat. Dennoch gab es auch damals bereits Verfassungsdenker und -entwürfe, die die Rechte des Herrscher weit stärker beschnitten hätten.

Kaiser Franz Joseph hat diesen "konstitutionellen Apparat" nie geliebt, die Idee der Volkssouveränität aus innerster Überzeugung bis zu seinem Tode abgelehnt. Mit großem Selbstvertrauen und in dem Glauben an die gottgewollte Aufgabe seines Hauses hat er sich zunächst einem absolutistisch-zentralistischen System verschrieben, von dem er nur durch äußeren Druck abwich. Er, der das Zeremoniell und das Protokoll liebte und sich auch streng daran klammerte, hatte von seinem Wesen aus auch gar keinen Zugang zum Verhalten eines Parlamentariers, der sich in einer lebhaften Debatte spontan bewähren und oft auch improvisieren musste. Der Masse billigte der Kaiser einfach nicht das Vermögen einer umfassenden Problemlösungskompetenz zu, vielmehr hielt er es in erster Linie für seine Pflicht und nicht nur für sein Recht, für seine Völker zu sorgen. Die Vorgänge im Abgeordnetenhaus, die durch nationale Kämpfe und Obstruktion gekennzeichnet waren, und somit nicht nur dem Parlamentarismus und der Regierungstätigkeit schadeten, sondern auch den Zusammenhalt der Monarchie gefährdeten, waren durchaus dazu angetan, ihn in seiner Meinung zu bestärken. Franz Joseph I. dürfte sogar gehofft haben, durch das Gegeneinander der Abgeordneten einen Machtgewinn, quasi als Schiedsrichter über die Parteien, erzielen zu können.

Er hat daher auch nie eine Thronrede zur Eröffnung und Schließung der Parlamentssessionen im Parlamentsgebäude selbst gehalten, obgleich Theophil Hansen in seinem Konzept die Säulenhalle dafür vorgesehen hatte. Den Thronreden mussten die Abgeordneten in der Hofburg lauschen. Franz Joseph I., dessen Initialen man überall im Parlamentsgebäude begegnet, hat auch nie eine Sitzung des Hohen Hauses verfolgt, er hat es nur zwei Mal in seinem Leben betreten, und zwar im Jahr 1879 zur Gleichenfeier und 1884 zu einer Besichtigung nach der Fertigstellung. Deutlicher konnte er seiner Abneigung gegen die konstitutionelle Entwicklung nicht Ausdruck verleihen. Die Bezeichnung "Reichsrat" muss man auch in einem ideologischen Zusammenhang insofern sehen, als der revolutionäre Begriff "Reichstag" aus dem Jahr 1848 tunlichst vermieden wurde.

Man darf sich daher von den offiziellen Thronreden nicht täuschen lassen, in denen der Monarch seine Wertschätzung der Tätigkeit der Abgeordneten unterstrich und das feste Fundament der Verfassung beschwor. So sagte er in seiner Thronrede am 1. Mai 1861 zur Eröffnung der ersten Session nach der Februarverfassung: "Ich erkenne als Meine im Angesicht aller Meiner Völker übernommene und durch jene Kundgebungen nachdrücklich bekräftigte Regentenpflicht im Sinne der im Diplome vom 20. Oktober v.J. ausgesprochenen und in den Grundgesetzen vom 26. Februar l.J. zur Durchführung gelangten Ideen, die Gesamtverfassung als das unantastbare Fundament Meines einigen und unteilbaren Kaiserreiches, dem in feierlicher Stunde geleisteten Angelöbnis getreu, mit Meiner kaiserlichen Macht zu schützen, und bin festen Willens, jede Verletzung derselben als einen Angriff auf den Bestand der Monarchie und auf die Rechte aller Meiner Länder und Völker nachdrücklich zurückzuweisen". Es muss auch festgehalten werden, dass sich der Kaiser, wie es seiner Persönlichkeit eben entsprach, an die Zugeständnisse so gut und so korrekt wie möglich hielt, auch wenn ihm vieles gegen den Strich ging.

So drückt ja auch die Haltung des Monarchen in der Giebelgruppe aus, wo er sich gerade vom Thron erhoben zu haben scheint, in der linken Hand die Rolle hält, die rechte wie Gaben spendend ausstreckt, dass die Verfassung ein einseitiger Gnadenakt des Kaisers, abhängig von dessen souveränem Willen war. Und in der Tat waren die in Kraft getretenen Verfassungen bis hin zum Februarpatent von oben konzipiert und gewährt, wiewohl diese Schritte nicht freiwillig, sondern auf Grund äußerer Ereignisse gesetzt wurden. Auch wurden die Präsidenten beider Häuser vom Kaiser ernannt. Erst die Dezemberverfassung des Jahres 1867 ist parlamentarisch (Regierungsvorlage bzw. Gesetzesinitiative des Reichsrates, Beratung und Beschlussfassung im Reichsrat, Sanktionierung) zu Stande gekommen.

Als Geburtsurkunde des österreichischen Parlamentarismus gilt jedoch das Februarpatent, die "Reichsverfassung vom 26. Februar 1861". Sie war auch der letzte Versuch, eine Verfassung für die Gesamtmonarchie unter Einschluss Ungarns zu schaffen.

Die Verfassungsbestrebungen gehen zwar auf das Revolutionsjahr 1848 zurück, doch der fortschrittliche Entwurf des Kremsierer Reichstages, der bereits ein Zweikammersystem, ein relativ weit gezogenes Wahlrecht und einen Entwurf der Grundrechte des österreichischen Volkes vorsah und dem Kaiser großteils nur ein suspensives Veto zubilligte, wurde nicht realisiert, nachdem Radetzky endgültig über die Revolution gesiegt hatte und der Reichstag durch kaiserliches Manifest aufgelöst worden war. Bezeichnend war die negative Reaktion auf den Einleitungssatz der Kremsierer Vorlage, der lautete: "Alle Staatsgewalten gehen vom Volk aus, und werden auf die in der Constitution festgesetzte Weise ausgeübt". Das Kabinett legte dagegen Protest ein, da in Österreich nicht die Volkssouveränität, sondern das monarchische Recht die unveräußerliche Quelle der obersten Gewalt sei.

Die oktroyierte Märzverfassung des Jahres 1849, die lediglich einen vom Kaiser zur Beratung ernannten Reichsrat vorsah, ist nie wirksam geworden und wurde mit dem Silvesterpatent 1851 außer Kraft gesetzt, sodass Franz Joseph I. wieder absolut regierte. Die Zeit des Neoabsolutismus fand nach den verlorenen Schlachten von Magenta und Solferino 1859 ihr jähes Ende. Die Regierung sah sich veranlasst, durch das Oktoberdiplom des Jahres 1860 den noch bestehenden Reichsrat zu verstärken und mit einer erweiterten Beratungskompetenz auszustatten. Angesichts der Finanzkrise des Staates war aber niemand damit zufrieden und so übertrug Franz Joseph I. Anton Ritter von Schmerling das Amt des Staatsministers, der eine neue Verfassung ausarbeitete. Der Reichsrat des Februarpatents war als Zweikammerparlament konzipiert, wobei das Abgeordnetenhaus von den Landtagen beschickt wurde, und er war – ein wesentlicher Unterschied zum alten Reichsrat - nicht mehr ein beratendes, sondern ein beschließendes Organ. Die Beratungen fanden in einem schnell errichteten Gebäude am Schottentor statt, von der bösen Zunge der Wiener bald "Schmerlingtheater" genannt. 1862 wurden auch zwei bis heute bestehende Grundrechte normiert, jenes zum Schutz der persönlichen Freiheit und jenes zum Schutz des Hausrechts.

Im Jahr 1865 setzte der Kaiser per Sistierungspatent die Verfassung außer Kraft, da sie die Gesamtmonarchie erfassen hätte sollen, was jedoch nicht gelungen war, und suchte - bezeichnender Weise ohne Parlament - eine Verständigung mit Ungarn, was letztendlich zum Ausgleich 1867 führte. Der wieder einberufene Reichsrat sollte diesen durch das Delegationsgesetz nachvollziehen, was auch am 21. Dezember 1867 geschah. Der Reichsrat, der nunmehr lediglich für Cisleithanien zuständig war, nützte aber die Gunst der Stunde und erreichte in einem Junktim, ein Verfassungsmodell der konstitutionellen Monarchie durchzusetzen. Neben der Änderung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung, womit die aus dem Februarpatent stammende Grundlage des Reichsrates neu gefasst wurde, wurden Justiz und Verwaltung auf nunmehr allen Ebenen getrennt, geschaffen wurde auch das Reichsgericht, ein Vorläufer unseres heutigen Verfassungsgerichtshofes. Das Notverordnungsrecht wurde präzisiert, die Ministerverantwortlichkeit sowie die Möglichkeit beider Häuser des Reichsrates, einen Minister wegen behaupteter Gesetzesverletzung vor dem neu gegründeten Staatsgerichtshof anzuklagen, eingeführt. Damit war die Machtsphäre des Monarchen und seiner Minister seitens der Volksvertretung eingegrenzt. Weiters wurde das Recht der Behörden normiert, auf Grund der Gesetze Verordnungen zu erlassen. Das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, das die liberalen Grundrechte brachte, ist noch heute in Geltung. Bis 1918 haben sich die verfassungsrechtlichen Institutionen kaum mehr geändert.

Grundlegende Änderungen erfuhren aber noch die Wahlrechtsbestimmungen. Das Abgeordnetenhaus wurde 1867 noch immer von den Landtagen beschickt und zählte 203 Mitglieder. Das Jahr 1873 war der Schritt zur direkten Wahl der Abgeordneten, womit das Abgeordnetenhaus eine Volksvertretung im vollen Sinne des Wortes wurde. Die nunmehr 353 Mitglieder wurden auf Grund eines Mehrheitswahlrechts und des Kurienwahlrechts (4 Kurien: Großgrundbesitzer, Städte, Handels- und Gewerbekammern sowie Landgemeinden) gewählt, wobei auf einen Abgeordneten aus der Kurie des Großgrundbesitzes 59, auf einen aus den Landgemeinden 8400 Wähler fielen. Durch die Wahlrechtsvoraussetzung einer Mindeststeuerleistung, des Zensus, waren aber insgesamt nur 6 % der Gesamtbevölkerung wahlberechtigt. 1882 wurde der Zensus in den Kurien Städte und Landgemeinden auf fünf Gulden gesenkt und erst durch die "Badenische Wahlrechtsreform", durch die eine fünfte, allgemeine Wählerklasse für alle Männer ab dem vollendeten 24. Lebensjahr eingeführt wurde, kam es zum allgemeinen Männerwahlrecht. Dennoch blieb die Zuteilung der Mandate ungerecht, da ca. 5000 Großgrundbesitzer 85 Abgeordnete wählten, jedoch 5,3 Millionen Wähler der allgemeinen Wahlklasse 72 Mandatare entsandten.

Eine folgenschwere Konsequenz hatte die Reform auch insofern, als sich für die politischen Gruppen die Notwendigkeit ergab, die Wähler zu mobilisieren und sich zu organisieren. Die Herausbildung von Massenparteien war die Folge.

Das allgemeine Männerwahlrecht wurde aber erst unter Ministerpräsident Baron Beck im Jahr 1907 ein gleiches, denn seine Wahlrechtsreform fixierte das Prinzip des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für die Männer. Die wenigen Frauen, die das Wahlrecht in der Großgrundbesitzerkurie innegehabt hatten, verloren ihres gleichzeitig. Auf dem Umweg über Wahlkreisgrößen gab es aber immer noch ein enormes Ungleichgewicht unter den Stimmen. Die Zahl der Abgeordneten stieg auf 516.

Auch wenn die Dezemberverfassung den Machtbereich des Kaisers einengte, blieb ihm dennoch ein bedeutender Vorsprung. Die zentrale Gesetzgebung oblag dem Kaiser und dem Reichsrat gemeinsam. Für das Zustandekommen eines Gesetzes war ein übereinstimmender Beschluss beider Häuser des Reichsrates notwendig sowie die Sanktion des Kaisers. Darüber hinaus blieb ihm die ungeteilte Exekutivgewalt, bei der Krone verblieben auch die Außenpolitik und die Leitung der Armee. Außerdem bestand damals wie heute ein Unterschied zwischen geschriebener Verfassung und Realverfassung. Das Abgeordnetenhaus wurde in den Strudel der nationalen Emotionen hineingerissen, man betrieb Obstruktion und das Interpellationsrecht wurde so weit strapaziert, dass letztendlich einer Flut von Anfragen nur wenige Antworten seitens der Regierung gegenüberstanden und dieses Kontrollrecht ad absurdum geführt wurde.
   


Dieser Beitrag stammt von der Parlamentskorrespondenz

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