Sonder-Ausgabe Nr. 111(A) vom 4. Feber 2000

Die Republik Österreich hat seit heute, Freitag mittag, eine neue Regierung

Die Koalition zwischen FPÖ und ÖVP wurde von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil angelobt. Dr. Wolfgang Schüssel von der ÖVP ist neuer Bundeskanzler, Dr. Susanne Riess-Passer (FPÖ) wurde Vizekanzlerin. Das Außenministerium wird die bisher dort tätige Staatssekretärin Dr. Benita Ferrero-Waldner leiten. Das Kabinett Schüssel besteht aus je fünf Ministern beider Parteien und je zwei Staatssekretären.

In Wien war es gestern und heute zu Demonstrationen gekommen, die bis auf wenige Ausnahmen besonnen abliefen. Während der Regierungs-Angelobung in der Hofburg kam es zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, lediglich ein Demonstrant wurde von Polizisten abgeführt - was in vielen Nachrichtensendungen stellvertretend als Bildmaterial für Stimmungsberichte verwendet wurde.

Wie bereits in unseren Nachrichten vom 31. Jänner berichtet, haben 14 EU-Staaten Sanktionen gegen Österreich verhängt, sollte es zu einer Regierungsbeteiligung der FPÖ kommen. Diese traten heute in Kraft, obwohl bereits Stimmen in diesen und auch anderen Staaten laut werden, die die Vorgangsweise der 14 EU-Länder teils als unhaltbar, teils als überzogen bezeichnen

Dr. Wolfgang Schüssel forderte wiederholt dazu auf, die neue Bundesregierung an ihren Taten zu messen und zitierte Einstein, wonach es leichter sei, ein Atom zu spalten, als ein Vorurteil auszuräumen.


In einer heutigen Fernseh-Ansprache ging Bundespräsident Klestil auf die Ereignisse ein, die wir wie folgt wörtlich zitieren:

"Liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Ich habe heute eine Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ angelobt

Heftige innen- und außenpolitische Diskussionen sind dieser Regierungsbildung vorangegangen, die mich mit Sorge und Betroffenheit erfüllen

Monatelange Bemühungen, eine tragfähige, personell erneuerte Koalition zwischen SPÖ und ÖVP zustande zu bringen, sind gescheitert - nicht zuletzt an der Abnützung einer bereits seit 13 Jahren bestehenden Partnerschaft.

ÖVP und FPÖ haben eine Mandatsmehrheit im Parlament, die in einer Demokratie zu respektieren ist. Der Wille der beiden Parteien, eine Koalition zu bilden, ist daher in einem demokratischen Rechtsstaat zu akzeptieren.

Die neue Regierung, die heute ihre Arbeit antritt, bedeutet für Österreich eine große politische Veränderung, die von vielen gewünscht wurde, bei vielen aber auch auf Skepsis oder gar Ablehnung stößt.
Die Reaktionen auf diese Regierungsbildung sind so heftig, daß im In- und Ausland große Überzeugungsarbeit geleistet werden muß, um Vorurteile und unberechtigte Kritik zu entkräften.

Auf meinen Wunsch hin haben die Parteiobmänner von ÖVP und FPÖ gestern eine Erklärung unterschrieben, die ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union und zu deren Grundwerten enthält.

In dieser Erklärung heißt es:
"Die Bundesregierung bekennt sich zum Friedensprojekt Europa. Die Zusammenarbeit der Koalitionsparteien beruht auf einem Bekenntnis zur Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union. Die Bundesregierung ist den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. In der Vertiefung der Integration und der Erweiterung der Union liegt auch Österreichs Zukunft

Österreichs Geschichte und geopolitische Lage sind ein besonderer Auftrag, den Integrationsprozeß voranzutreiben und den europäischen Gedanken noch stärker im Alltag der Menschen zu verankern."

Weiters heißt es:
"Die Bundesregierung tritt für Respekt, Toleranz und Verständnis für alle Menschen ein, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion oder Weltanschauung. Sie verurteilt und bekämpft mit Nachdruck jegliche Form von Diskriminierung, Intoleranz und Verhetzung in allen Bereichen. Sie erstrebt eine Gesellschaft, die vom Geist des Humanismus und der Toleranz gegenüber den Angehörigen aller gesellschaftlichen Gruppen geprägt ist.

Die Bundesregierung bekennt sich zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte und setzt sich für ihre bedingungslose Realisierung auf nationaler wie auf internationaler Ebene ein. Dies ist auch ein wichtiger Beitrag, um vorbeugend Kriege und interne Konflikte zu verhindern, die Menschen in ihren Rechten verletzen, vertreiben oder zum Verlassen ihrer Heimat zwingen."

Ich werde den vollen Wortlaut dieser Erklärung mit einem persönlichen Schreiben allen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union sowie den Präsidenten der Vereinigten Staaten und Israels übermitteln.

Ich habe gestern Dr. Schüssel und Dr. Haider klargemacht, daß eine Mißachtung der in der Erklärung niedergelegten Bekenntnisse zu Europa und zum österreichischen Rechtsstaat schwerwiegende innen- und außenpolitische Folgen haben wird.

Liebe Landsleute!

Österreich ist eine stabile Demokratie, ein funktionierender Rechtsstaat, der sich über Jahrzehnte Ansehen in der internationalen Staatengemeinschaft erworben hat. Jetzt gilt es, dieses Ansehen gemeinsam zu bewahren und zu fördern.

Ich bitte daher alle politischen Kräfte unseres Landes, alle Österreicherinnen und Österreicher und auch unsere Partner in der Europäischen Union und in der Welt, der neuen Bundesregierung eine Chance zu geben und sie nach ihrer Arbeit zu beurteilen.

An die Mitglieder der Bundesregierung appelliere ich, im Geiste der europäischen Werte zu handeln und sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, daß Österreich jene internationale Akzeptanz und Anerkennung findet, die es verdient.

Ich verspreche Ihnen, daß ich darüber wachen werde, daß es in unserem Land zu keinen Entwicklungen kommt, die den Werten der Europäischen Union und der internationalen Staatengemeinschaft widersprechen.

Ich werde auch alle meine internationalen Kontakte einsetzen, damit unser Land keinen nachhaltigen Schaden erleidet. Ich werde mit Überzeugung vertreten, daß Österreich ein gutes Land ist, mit positiven Menschen und einer weltoffenen Zukunftsgeneration, die es zu fördern und nicht auszuschließen gilt. Österreich verdient es, in der Europäischen Gemeinschaft und in der Welt als verläßlicher Partner anerkannt zu werden.

Ich bitte Sie, liebe Österreicherinnen und Österreicher, für diese große Aufgabe um Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen!"

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Die Redaktion des "Österreich Journals" bereitet für die nächsten Kurznachrichten am Montag, dem 7. Feber, einen Überblick über das weitere Geschehen vor!