Eizenstat: Die Welt hat die Lektion des Holocaust noch nicht gelernt  

erstellt am
06. 05. 05

Österreich kann bei Menschenrechten die Welt zur Arbeit rufen
Wien (pk) - "Es ist klar, dass die Welt die Lektion aus dem Holocaust und aus Mauthausen noch nicht vollständig gelernt hat, wenn man die Killing Fields von Kambodscha, die ethnischen Säuberungen am Balkan und den Völkermord in Ruanda bedenkt. Österreich kann die Welt zur Arbeit rufen." Mit diesen Worten schloss Stuart Eizenstat, der frühere amerikanische Vize-Außenminister, der in den letzten Jahren maßgeblich an der Lösung von Wiedergutmachungsfragen beteiligt war, seine Rede im Historischen Sitzungssaal des Parlaments. Eizenstat war der Hauptredner bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.

In seiner von den TeilnehmerInnen mit lang anhaltendem Applaus bedankten Rede im historischen Sitzungssaal des Parlaments erinnerte Eizenstat zunächst an die Befreiung Mauthausens vor 60 Jahren und an den Beitrag der USA zur Unabhängigkeit Österreichs. Rund 200.000 Gefangene seien durch Mauthausen gegangen, zwischen 105.000 und 119.000 von ihnen seien ermordet worden - rund ein Drittel von ihnen Juden. Mauthausen, bereits wenige Monate nach dem Anschluss eröffnet, habe einem doppelten Ziel gedient: der Eliminierung politischer Gefangener und Juden sowie der Erzielung von Profiten durch den Einsatz von SklavenarbeiterInnen. Im gesamten Netzwerk der Nazi-Konzentrationslager sei Mauthausen das einzige Klasse III-Lager ("Vernichtung durch Arbeit", "Rückkehr unerwünscht") gewesen. Die Grausamkeit der nazistischen Wächter sei bis heute jenseits menschlicher Fassbarkeit.

"Wie ehren wir heute in Österreich in angemessener Weise die Opfer, die gestorben sind, jene, die das Glück hatten, zu überleben und ihre Familien - und wie können wir zugleich diesen speziellen Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus mit Bedeutung für die Welt von heute erfüllen?", fragte Eizenstadt. "Wir können die Vergangenheit nicht wieder herstellen. Wir können die Musiker und Autoren, Dichter und Künstler, Unternehmer, Ingenieure und Wissenschafter, Bauern und Kaufleute, Geistlichen und Rabbiner nicht wieder zum Leben erwecken, und auch nicht die Mütter, Väter und Kinder, denen es für immer unmöglich ist, der Welt ihr Fünkchen zu schenken. Alles das ist unersetzlich."

Es gebe aber drei Wege des Erinnerns, setzte Eizenstat fort, und in einigen davon habe Österreich auf anerkennenswerte Weise die Führung übernommen. Zuerst und vor allem gehe es darum, ein dauerhaftes Gedächtnis für jene zu bewahren, die zu Opfern wurden, indem man die brutale und harte Wahrheit von Mauthausen und von Österreichs komplizierter Rolle im Zweiten Weltkrieg sagt. "Das tut Österreich jetzt", stellte Eizenstat fest. Österreich sei nicht das einzige Land, das Zeit benötigte, um sich mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Der Redner nannte in diesem Zusammenhang die späte Aufarbeitung der Internierungslager für japanisch-stämmige Amerikaner in den USA und erinnerte an den langen Weg bis zur Abschaffung der Sklaverei. Erst jüngst hätte die Unfähigkeit Japans, sich voll der Vergangenheit zu stellen, Spannungen in Asien erzeugt.

Jahrzehnte hindurch habe sich Österreich nicht seiner Verwicklung in Nazi-Verbrechen gestellt, weil man - bestärkt durch die Moskauer Deklaration - Österreich als "erstes Opfer der Hitler-Aggression" gesehen habe, fuhr Eizenstat fort. Man könne keinen präzisen Zeitpunkt angeben, an dem Österreich begonnen habe, das volle Bild seiner Verwicklung in die Ereignisse jener Jahre zu sehen, doch zwei Ereignisse ragten hervor: die offizielle Begrüßung Reders nach dessen Entlassung aus italienischer Haft und die Waldheim-Debatte. Danach hätten mehrere couragierte Politiker und religiöse Führer, aus ihrer Überzeugung und ihrem Gewissen heraus, entsprechende Handlungen gesetzt. Eizenstat nannte in diesem Zusammenhang Kardinal König, Bundeskanzler Vranitzky und Bundespräsident Klestil. Er erinnerte auch an die Einsetzung der Historikerkommission unter der Leitung von Clemens Jabloner, an die Errichtung des Holocaust-Mahnmals auf dem Judenplatz in Wien und an Initiativen, Schülern das Thema Holocaust nahe zu bringen.

Ein zweiter Weg des Erinners sei, den noch lebenden Überlebenden und den Familien der Opfer zu helfen, und genau das habe Österreich seit den 90er Jahren getan, sagte Stuart Eizenstat. Der Holocaust sei nicht nur der größte systematische Völkermord der Geschichte, er sei auch der größte Diebstahl. Österreich habe Anstrengungen unternommen, dieses Unrecht zu korrigieren. Eizenstat nannte in diesem Zusammenhang den Nationalfonds, der bereits 1995 - und damit lang vor dem Einsetzen internationalen Drucks - ins Leben gerufen worden sei. Als erstes Land habe Österreich Beiträgen in den Fonds für Nazi-Opfer zugestimmt, als erstes Land - und als eines von wenigen - habe Österreich auch die Prinzipen der Erklärung der Holocaust-Konferenz über Kunst-Restitution in Washington 1997 in seine nationale Gesetzgebung einfließen lassen.

Eizenstat kam dann auch auf den Entschädigungsfonds zu sprechen, in dem 200 Millionen USD bereit stünden, die wegen des noch fehlenden Rechtsfriedens nicht ausgezahlt würden. "Ich hoffe, dass alle Parteien - einschließlich der US-Gerichte, die für diese unpassende Verzögerung von Gerechtigkeit verantwortlich sind, inspiriert von der heutigen Gedenkveranstaltung, sofort aktiv werden. Ich beabsichtige, in dieser Sache persönlich zu intervenieren, um die menschliche Dimension dieser Verzögerung herauszustreichen", kündigte Eizenstat an.

Von entscheidender Bedeutung sei aber auch, dass Österreich sich erneut der Unterstützung der kleinen, aber lebendigen jüdischen Gemeinde widme, die in den Jahren nach dem Krieg gewachsen sei. Darüber hinaus sei schmerzlich klar, dass der Antisemitismus in Europa nicht mit dem Holocaust geendet habe: Alle Formen von Antisemitismus müssen mit aller Kraft verurteilt und, wo nötig, bestraft werden.

Ein dritter Weg des Gedenkens sei es, die Lehren aus den schrecklichen Verbrechen in Mauthausen in der Form zu ziehen, dass der Gedenktag in Aktion münde, sagte Eizenstat abschließend und nannte als Beispiel Österreichs Einsatz für die Menschenrechte.

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