Bilanz des österreichischen EU-Vorsitzes  

erstellt am
27. 06. 06

Wien (hofburg) - Bundespräsident Heinz Fischer zog in der ORF-"Pressestunde" am 02.07. - unter anderen Themen - auch Bilanz über Österreichs EU-Präsidentschaft: "Ich bin mit einem realistischen Optimismus in die Präsidentschaft hineingegangen - und stehe heute mit einem realistischen Optimismus wieder da!" Die österreichische Vorsitzführung sei gut vorbereitet gewesen. Einige Themen - wie die Erweiterung der Union - seien vorangetrieben worden, die Dienstleistungsrichtlinie beschlossen, in manchen Fragen wie dem Verfassungsvertrag aber "keine sensationellen Ergebnisse" erzielt worden.
     
Bundeskanzler Schüssel: "Vernetzt denken und europäisch handeln"
Wien (bpd) - Der Vorsitzende des Europäischen Rates Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Vizekanzler Hubert Gorbach und EU-Ratsvorsitzende Außenministerin Ursula Plassnik zogen am 26.06. in einer Pressekonferenz Bilanz über den österreichischen EU-Vorsitz.

„Österreich hat sich für seine EU-Ratspräsidentschaft vorgenommen, Europa neuen Schwung zu geben. Die Bewertung unserer Arbeit müssen andere vornehmen, aber es hat uns wirkliche Freude gemacht, sechs Monate den Vorsitz zu führen und sehr partnerschaftlich mit der Kommission und dem Parlament zusammen zu arbeiten“, resümierte Bundeskanzler und EU-Ratsvorsitzender Wolfgang Schüssel nach sechs Monaten EU-Präsidentschaft. Das Arbeitsprogramm des österreichischen EU-Vorsitzes umfasste eine breite Palette von Arbeitsthemen von Wachstum und Beschäftigung bis zur Zukunft Europas.

Die Europäische Union habe sich vor einem Jahr in einer tiefen Kommunikations- und Substanzkrise befunden. Diese wäre heute überwunden. „Wir haben sehr viel Energie darauf verwendet, wie man Europa besser mitteilen kann, wie man die europäische Öffentlichkeit besser in einen Dialog für Europa einbinden kann“, sagte Schüssel. Dies sei durch eine Vielzahl von Projekten realisiert worden, wie etwa durch die österreichische Initiative „Österreich hört zu“ oder durch das breite Informationsangebot der EU-Präsidentschafts-Website, die bis zum heutigen Tag 34 Millionen Zugriffe verzeichnete. Weitere Projekte aus den Bereichen Kunst und Kultur hätten auf die Vielfalt Europas und das Europäischen Lebensmodell aufmerksam gemacht und das Bewusstsein dafür vertieft. „Ich glaube, dass Ziel, Atmosphäre und Substanz zusammen gehören. Das hat die österreichische Präsidentschaft ausgezeichnet, und das ist gut angenommen worden“, so Schüssel.

Die Gesprächskultur der Mitgliedstaaten habe sich verbessert, die Partnerschaft stehe wieder im Vordergrund. Dies habe sich bei der Bewältigung schwieriger Sachthemen bewährt und zum guten Arbeitsklima zwischen Ratspräsidentschaft, Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten beigetragen. Die österreichische EU-Präsidentschaft habe Themen wie Energie erstmals in die Diskussion eingebracht und zu einer engeren Vernetzung in Europa beigetragen. Auch im Bereich Wachstum und Beschäftigung beginnen sich erste Erfolge abzuzeichnen. „Wir haben seit dem letzten Jahr 2 Millionen mehr Jobs geschaffen. Die Beschäftigungsziele, die wir uns für Europa gesetzt haben, sind realistisch“, so Schüssel. Krisen wie die kurzfristig verminderten Gaslieferungen, der Karikaturenstreit oder das iranische Atomprogramm hätte die Kräfte Europas mobilisiert. „Wir haben gelernt, dass wir vernetzt denken und europäisch handeln müssen“, so der Bundeskanzler.

Es hätte sich bewährt, dass das Außenministerium als Europaministerium fungiere. Hier liefen alle Informationen für die EU-Präsidentschaft zusammen. „Die ganze Organisation wurde durch ein kleines Team unter dem Vorsitz der Außenministerin und des Staatssekretärs geleitet. Diese Aufteilung hat sich sehr bewährt und wir haben uns blind auf dieses Team verlassen können“, so Schüssel. Der Bundeskanzler sprach all jenen seine Dank aus, die sich für die österreichische EU-Präsidentschaft eingesetzt haben. In die Vorbereitung und in die Durchführung waren rund 10.000 Personen eingebunden.

„Österreich hat die Chancen der Präsidentschaft gut genützt. Der konstruktive und innovative Geist, der uns zugesprochen wird, ist für Österreich eine gute Werbung gewesen“, resümierte Vizekanzler Hubert Gorbach. Während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft wurden im Bereich der Straßenverkehrssicherheit, beim Ausbau Europäischer Transitnetze sowie in Fragen der Sicherheit wichtige Entscheidungen getroffen. Es gelte aber, das Projekt Europa auch weiterhin mit Leben zu erfüllen. „Wir müssen vor allem den Vertiefungsprozess innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft fördern und die Zustimmung der Menschen zum europäischen Einigungsprozess erhöhen. Österreich hat dazu aus einer schwierigen Phase heraus einen guten Beitrag geleistet. Es war unser Ziel, das Bewusstsein der Entscheidungsträger in der EU zu schärfen und die Regionen zu stärken. Ein Europa der Regionen soll nicht nur ein Schlagwort sein“, so der Vizekanzler.

„Ich habe die EU-Ratspräsidentschaft als Teamarbeit erlebt. Wir haben als starkes Team für Europa gearbeitet und ich danke allen, die sich eingebracht haben und die an der Durchführung beteiligt waren“, sagte Außenministerin Plassnik. Auch wenn in der Verfassungsfrage noch keine endgültige Entscheidung getroffen werden konnte, so habe doch die österreichische EU-Präsidentschaft durch ihre Grundlagenarbeit dazu beigetragen, dass das Verfassungswerk auch weiterhin in der Substanz erhalten bleibe. Österreich habe neue Sichtweisen, wie etwa die des Europäischen Lebensmodells, in die europäische Wertediskussion einbringen können. Die Beschäftigung mit den Kriterien der Aufnahmenfähigkeit werde nun erstmalig klar definiert. Österreich habe gerade mit seiner Politik für die Länder des Balkans wichtige Akzente setzen können. „Dieser Schwerpunkt war richtig gewählt. Wir haben dieses Thema mutig und zeitgerecht aufgegriffen“, so Plassnik.

„In der Außenpolitik besteht große Nachfrage danach, dass Europa mit einer starken Stimme in der Welt spricht. Die Europäische Union kann damit einen bedeutenden Beitrag zu Frieden und Sicherheit in der Welt leisten. Wir haben gezeigt, dass wir auch in sehr anspruchsvollen Themen einheitliche Positionen beziehen können“, so Plassnik über die EU-Außenpolitik. „Ich hoffe, dass die hier entstandenen Netzwerke durch die nächsten Präsidentschaften tragen werden“, so Plassnik abschließend.

 

Plassnik: "Präsidentschaft als Teamarbeit"
Außenministerin zieht Bilanz des österreichischen EU-Ratsvorsitzes
Wien (bmaa) - "Wir haben die Präsidentschaft vor allem als Teamarbeit erlebt", erklärte Außenministerin Ursula Plassnik bei der gemeinsamen Pressekonferenz zur Bilanz des österreichischen Ratsvorsitzes mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzler Hubert Gorbach.

"Wir haben die Vorsitzarbeit mit viel Einsatz, Kompetenz und Realitätssinn bewältigt", sagte Plassnik. Besonderes Anliegen sei eine partnerschaftliche Vorgehensweise gewesen, wobei der Bürger, seine Anliegen und Sorgen, bewusst ins Zentrum gestellt wurden. "Nach der Schreckphase und Trauerarbeit ist es uns gelungen, Europa wieder in Bewegung zu setzen. Uns ging es darum, die Kraft und den Zusammenhalt der 25 wieder spürbar zu machen und das europäische Wir-Gefühl zu stärken", erklärte die Außenministerin mit Blick auf Verfassungsfrage und Zukunftsdebatte.

In den Fragen der Erweiterung und der Verfassung habe der Vorsitz Grundlagenarbeit geleistet. "Hier sind keine Blitzkuren, sondern nur nüchterne Sacharbeit möglich. Der österreichische Vorsitz hat sich als Gleisbauer betätigt - auf der einen Seite wurde das Europa der konkreten Projekte und Resultate in die Wege geleitet, auf der anderen Seite wurde der Verfassungsvertrag intakt gehalten", so Plassnik.

Österreich habe zudem auch wichtige Impulse gesetzt. "Mit dem europäischen Lebensmodell haben wir einen positiven Begriff in die Europadebatte eingebracht", so Plassnik. Dieser Begriff helfe sichtbar zu machen, "was uns die Dinge wert sind". Dies sei etwa beim Karikaturenstreit oder in der Diskussion zum Gefangenenlager in Guantanamo deutlich geworden. Auch beim Thema Migration und Integration sowie bei der Förderung des Mittelstands im Bereich Wachstum und Beschäftigung habe der Vorsitz wichtige Impulsarbeit geleistet.

Im Bereich der gemeinsamen Außenpolitik galt es, einen komplexen und vielstimmigen Prozess unter den Mitgliedstaaten der Union zu managen. "Die Nachfrage nach der Stimme Europas in der Welt ist innerhalb und außerhalb der EU groß. In den letzten Monaten hat es nach außen keine Vielstimmigkeit gegeben. Auch bei schwierigen Themen hat die Europäische Union rasch eine einheitliche Position bezogen, durchaus auch mit Ecken und Kanten", so Plassnik.

Vom Balkan über Belarus bis zum Nahen und Mittleren Osten, sowie im Bereich der Afrika-Strategie der EU habe Österreich mit viel Beharrlichkeit Hintergrundarbeit geleistet und die EU-Positionen nach außen getragen. So wurden etwa in den letzten sechs Monaten 121 Präsidentschaftserklärungen abgegeben und zahlreiche Interventionen im Menschenrechtsbereich, etwa zum Schutz für bedrohte MenschenrechtsverteidigerInnen, vorgenommen.

Im Bereich des Westbalkan sei man "mit jedem einzelnen Partner in der Region weitergekommen", so Plassnik. Österreich habe hier wichtige Akzente setzen können. Die Außenministerin verwies dabei auch auf die zahlreichen Initiativen der Fachressorts zur stärkeren Einbindung und konkreten Zusammenarbeit mit den Ländern der Region.

Plassnik dankte abschließend auch allen Beteiligten, die zum Erfolg des österreichischen Ratsvorsitzes beigetragen haben, den Mitarbeitern des Außenministeriums und der österreichischen Vertretungen im Ausland, der Ministerien und Bundesländern, der Sozialpartnern, des Bundesheeres und der Exekutive, für ihre vorbildliche Arbeit. "Wesentlich war das Bemühen, die Belastungen für die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten", so Plassnik.

 

 Einem: Einschätzung der Regierung realitätsfern
Wien (sk) - Als "realitätsfern" bezeichnete SPÖ-Europasprecher Caspar Einem die Einschätzung der Regierung Schüssel, was die Leistungen der österreichischen EU-Präsidentschaft betrifft. Es sei eine "mehr als kühne Behauptung", wenn davon gesprochen wird, dass die Bürger ins Zentrum der Bemühungen des österreichischen EU-Vorsitzes gerückt wurden. Denn, wie Einem betonte, "wirklich Konkretes und Substanzielles" habe Schüssels EU-Präsidentschaft nicht gebracht. "Einen Beitrag zur Lösung der wesentlichen Alltagsprobleme der Menschen hat diese Präsidentschaft sicher nicht geleistet", so der SPÖ-Europasprecher am Montag gegenüber dem SPÖ-Pressedienst.

Aus Sicht des SPÖ-Europasprechers war die österreichische EU-Präsidentschaft vor allem organisatorisch ein Erfolg, inhaltliche Ergebnisse habe sie aber kaum gebracht.

Der SPÖ-Abgeordnete nannte als Beispiel das Thema Arbeitslosigkeit: "Es gibt keine einzige Maßnahme, die dazu beiträgt, dass es zu einer spürbaren Senkung der Arbeitslosigkeit kommt." Dies sei auch nicht verwunderlich, weil die Regierung Schüssel viel zu wenig ehrgeizig an die Sache herangegangen ist. Die angepeilten zwei Millionen neuen Arbeitsplätze etwa würden den ohnehin für 2006 bereits prognostizierten Zahlen entsprechen. "Spürbares für die Bevölkerung, außer dass die Präsidentschaft ein teurer Spaß war, ist nicht geleistet worden. Ein Rückgang der EU-Skepsis wird mit dieser unambitionierten Vorsitzführung nicht erreicht werden", schloss Einem.

 

 Mölzer: Ratspräsidentschaft gegen die Interessen der Bürger
Wien (fpd) - Die Bilanz der österreichischen Ratspräsidentschaft sei mehr als traurig, sagt der freiheitliche EU-Abgeordnete Andreas Mölzer zum bevorstehenden Ende des EU-Vorsitzes Österreichs. "Schüssel und Co haben sich in wesentlichen Fragen wie der EU-Verfassung und dem Beitritt der Türkei als die treibende Kraft gegen die Interessen der Bürger und insbesondere gegen die Interessen unseres Landes erwiesen. Anstatt die Zeit und die Energie zur Lösung der tiefgreifenden wirtschaftlichen und soziale Probleme Europas zu investieren, setzten der Herr Bundeskanzler und die Frau Außenministerin alles daran, damit die EU-Verfassung, deren Wiederbelebung bislang mißlungen war, doch noch in Kraft zu setzen", kritisiert Mölzer.

Als Skandal ersten Ranges bezeichnet der freiheitliche EU-Mandatar den Umstand, daß die österreichische Ratspräsidentschaft aktiv dazu beigetragen habe, Zypern, das als einziges EU-Mitglied Widerstand gegen die Aufnahme Ankaras geleistet hatte, zur Aufgabe seines Vetos zu bewegen. Schüssel habe nicht nur zu erkennen gegeben, wie sehr er in den Diensten der Türkei-Lobby steht, sondern er habe auch sein wahres Gesicht gezeigt. Während er einerseits in Österreich mit seinem Geschwätz von einer privilegierten Partnerschaft mit der Türkei Wasser predigt, trinkt er andererseits in Brüssel mit den Erweiterungsfanatikern Wein, betont Mölzer abschließend.

 

 Voggenhuber: Schüssels Jägerlatein
Wien (grüne) - "Bei ihrer gestrigen Bilanz über die Ratspräsidentschaft erging sich Bundeskanzler Schüssel in Jägerlatein. Er gebärdete sich wie ein mittelmäßiger Angler, der vom Südseeurlaub zurückkommt und von riesigen Fischen erzählt, die er gefangen habe. Die bisher unbekannten Fische haben auch ganz seltsame Namen. Der größte, den Schüssel im fernen Europa gefangen hat, nennt sich Europäisches Lebensmodell. An der Angel des Kanzlers hängt auch der Bürger, der ins Zentrum der Arbeit gestellt worden sei und in seinem Netz findet sich noch das Europäische Wir-Gefühl und der Geleisebauer Europas", berichtet Johannes Voggenhuber, von den Erzählungen des Kanzlers über dessen Irrfahrten in Europa.

In Wahrheit jedoch schwimmen die Hechte im Europäischen Karpfenteich unbekümmert weiter. Der Pause zum Nachdenken über die Verfassung wurde zu einer Pause vom Nachdenken über die Verfassung. Nicht einmal die eigenen, kurzgesteckten Ziele wurden dabei erreicht. Die Nullbilanz beim Lissabon-Ziel wurde mit einer feierlichen Wiederverkündung der alten Ziele zugedeckt, die gesamte Sozialfrage ignoriert. In der Frage des Westbalkans gibt es keinen Fahrplan, keine Fortschritte. Die Unterfinanzierung der Union in wesentlichen Aufgabenbereichen bleibt bestehen.

Selbst die Fische, die der Kanzler an der Angel gehabt haben will, erweisen sich bei näherem Hinsehen als gar nicht großartig und altbekannt. Der Bürger sei ins Zentrum geholt worden, prahlte der Kanzler. "Tatsächlich waren alle Konferenzen geschlossene Veranstaltungen hinter für die BürgerInnen verschlossenen Türen. Und der zentrale Wille war die Stärkung des Regierungs-Europa und nicht des Europas der BürgerInnen", resümiert Voggenhuber.
 

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament
vertretenen Parteien – sofern vorhanden! Die Redaktion

     
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