Seniorenrat befasst sich in einer Enquete im Parlament mit dem Thema
Pflege
Wien (pk) - Die Sicherung der Pflege sei ein Schlüsselthema der österreichischen Sozialpolitik.
Das betonte Nationalratspräsidentin Doris Bures am 22.09. zum Auftakt einer Enquete des Seniorenrats zum Thema
"Gibt es zu viele Pflegebedürftige oder gibt es zu viele Pflegestrukturen?" im Parlament. Auf Basis
von statistischen Daten und Erfahrungen in der Praxis diskutieren PolitikerInnen und ExpertInnen über die
Zukunft der Pflege, Reformpotentiale bei den staatlichen Leistungen und bei den Pflegstrukturen sowie die Rolle
der Pflegekräfte.
Bures: Pflege im Fokus der Politik
Was das Ziel betrifft, seien sich alle einig, sagte Bures, es gehe um die bestmögliche Unterstützung
von Pflegebedürftigen. Die Menschen hätten ein Recht auf Lebensqualität und Würde im Alter.
So klar die Zieldefinition sei, so komplex seien aber die Herausforderungen. Sie freue sich daher, dass der Seniorenrat
sich diesem wichtigen Zukunftsthema widmet. Der Bedarf an Pflege und Betreuung werde in den nächsten Jahren
stark steigen, gab Bures zu bedenken. Für sie ist klar, der Fokus der Politik muss auf den pflegebedürftigen
Menschen liegen. Man dürfe aber auch die pflegenden Angehörigen und die professionellen BetreuerInnen
nicht vergessen, die unverzichtbare Arbeit leisten. Dass das Parlament als Gastgeber für die Enquete fungiert
und die Debatte im Sitzungssaal des Nationalrats stattfindet, hat für Bures auch Symbolcharakter. Es sei wichtig,
dass Themen der Zeit im Nationalrat diskutiert würden.
Khol und Blecha plädieren für effizientere Pflegestrukturen
Namens des Österreichischen Seniorenrats gingen die beiden Präsidenten Andreas Khol und Karl Blecha auf
die aktuellen Herausforderungen im Pflegebereich ein. Mit der Einrichtung des Pflegefonds und der gesetzlichen
Regelung der 24-Stunden-Betreuung seien bereits wesentliche Schritte gesetzt worden, sagte Khol, andere wichtige
Bereiche wie die Pflegestruktur und die Pflegesachleistungen seien aber noch offen. Konkret vermisst er etwa eine
bundesweite Bedarfsplanung. Khol plädierte zudem dafür, auf jeglichen Regress bei einem stationären
Pflegeaufenthalt zu verzichten, auch bei den betroffenen Personen. Vorstellen kann sich Khol auch die Einführung
einer Pflegelehre, diese habe sich in anderen Ländern bewährt.
Als zweiter Seniorenrats-Präsident machte Karl Blecha darauf aufmerksam, dass sich die Zahl der pflegebedürftigen
Menschen bis zum Jahr 2050 auf 900.000 Menschen fast verdoppeln werde. Zudem wies er auf eine aktuelle Wifo-Studie
hin, wonach der Aufwand der Länder und Gemeinden für Langzeitpflege von derzeit 1,67 Mrd. € bis zum Jahr
2020 um 40 % steigen wird. Das österreichische Pflegesystem gehöre zu den besten der Welt, unterstrich
er, man müsse sich aber für Herausforderungen rüsten. Ziel müsse es sein, dass jede Österreicherin
bzw. jeder Österreicher weiter eine leistbare und gleichzeitig qualitätsvolle Pflege bekommt.
Um das zu erreichen, erachtet Blecha es für notwendig, die Pflegstrukturen effizienter, nachhaltiger und schlanker
zu gestalten. Bei den Heil- und Hilfsmitteln gebe es etwa einen Kompetenzdschungel, der die Betroffenen zwinge,
von einer Stelle zur anderen zu wandern, um finanzielle Hilfe zu erhalten, kritisierte er. Seiner Darstellung nach
fehlen derzeit zudem rund 7.000 diplomierte Pflegekräfte. Um die Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen sicherzustellen,
müssen nach Meinung von Blecha auch in Zukunft differenzierte Pflegeformen angeboten und sowohl mobile und
ambulante als auch teilstationäre und stationäre Pflegeangebote ausgebaut werden.
Hundstorfer will leistbare Pflege mit steuerfinanziertem System erhalten
Sozialminister Rudolf Hundstorfer bekannte sich in seinem Einleitungsstatement dezidiert zum steuerfinanzierten
Pflegesystem. Dieses System sei für die Betroffenen leistbar und zudem in der Lage, die demographische Dynamik
und konjunkturelle Schwankungen auszugleichen, bekräftigte er. Eine Pflegeversicherung ist für ihn keine
sinnvolle Alternative. Es gebe auch international keine privaten Anbieter mehr, die Langzeitpflege versichern.
Dass das österreichische Pflegesystem vorbildlich ist, versuchte Hundstorfer mit Zahlen zu untermauern. Ihm
zufolge beziehen 5,2 % der Bevölkerung Pflegegeld, und damit so viele wie in keinem anderen Land der Welt.
Dafür werden 1,3 % des BIP aufgewendet. 50% der PflegegeldbezieherInnen kaufen keinerlei Pflegeleistung zu,
sondern werden ausschließlich von Angehörigen betreut bzw. setzen auf Nachbarschaftshilfe. Das Pflegegeld
werde unabhängig vom Einkommen und vom Vermögen gewährt, unterstrich Hundstorfer, "das soll
auch so bleiben".
Zur häufig geäußerten Forderung nach einer Valorisierung des Pflegegeldes merkte Hundstorfer an,
sein Ressort habe in den letzten Jahren den Fokus auf Angehörigenleistungen gelegt. So verwies er unter anderem
auf die eingeführten Erschwerniszuschläge für behinderte Kinder und demente Personen, die Förderung
der 24-Stunden-Betreuung, den Ausbau der Ersatzpflege sowie die Einführung des Pflegefonds und der Pflegekarenz.
In Summe würden heuer 4,5 Mrd. € an Steuergeld für die Pflege aufgewendet, skizzierte er. 1,2 Mrd. €
kommen zusätzlich aus dem Kreis der Betroffenen.
Hundstorfer wies auch darauf hin, dass das Pflegegeld allein zur Sicherung der Pflege nicht ausreiche. Als zweite
Säule komme die Sozialhilfe der Länder und der Gemeinden dazu, beide zusammen wenden derzeit rund 1,5
Mrd. € für Pflege auf. Vom Bund kommt dafür Unterstützung aus dem Pflegefonds: 235 Mio. € heuer,
300 Mio. € im nächsten Jahr und 350 Mio. € die Jahre darauf.
"Der Pflegefonds wirkt", bekräftigte Hundstorfer. Das stationäre Angebot sei um 2 %, das mobile
um 5 % und das teilstationäre um 6 % gewachsen. Zwei Bundesländer hatten zuletzt keine Steigerung bei
den Ausgaben für Pflege mehr. Zudem habe der Fonds mitgeholfen, den Pflegeregress für Angehörige
abzuschaffen und 30.000 zusätzliche Arbeitsplätze im Pflegebereich zu schaffen.
Was die Zukunft betrifft, hofft Hundstorfer, dass der Anteil der mobilen und teilstationären Betreuung von
pflegebedürftigen Menschen, etwa in Tageszentren, weiter steigt. Stationäre Versorgung solle nur die
letzte Maßnahme sein. Zudem soll das Case- und Care-Management ausgebaut und das Pflegeangebot weiter harmonisiert
werden. Es müsse egal sein, wo man alt werde, sagte Hundstorfer, es müsse überall ein adäquates
Pflegeangebot und die gleiche Qualität geben, unabhängig vom Wohnsitz. Der Pflegefonds trägt seiner
Meinung nach dazu bei, Harmonisierung und Transparenz zu fördern, der Angebots-Mix werde aber auch in Zukunft
den Bundesländern obliegen.
Bundesweite Finanzierungsplanung angeregt
Grundsätzlich gelobt wurde der Bundespflegefonds auch vom Steirischen Landesrat Christopher Drexler, zuständig
für Wissenschaft und Forschung sowie Gesundheit und Pflegemanagement. Er bestätigte zwar den Sozialminister,
tatsächlich bewirke der Fonds derzeit eine Kostenabfederung in den Bundesländern. Allerdings, gab Drexler
zu bedenken, müsse man ab 2017/18 mit Problemen rechnen, wenn die Dotierung des Fonds am Stand 2016 eingefroren
wird bzw. die Finanzierung nach 2018 ungeklärt bleibt. Angesichts der rapide steigenden Ausgaben im Pflegebereich,
mahnte der Landesrat, sollten Bund und Länder ehestmöglich konkrete Verhandlungen über die mittel-
bis langfristige Finanzierungssituation der Pflege beginnen. Die Bereitschaft der Bundesländer, eine sinnvolle
bundesweite Pflegestrategie mitzutragen, sei jedenfalls gegeben.
Für eine bundesweite Gesamtstrategie der Pflegefinanzierung aller Gebietskörperschaften sprach sich auch
Rechnungshofpräsident Josef Moser aus. Vereinheitlichungen solle es etwa bei der Tarifhöhe und dem Personalschlüssel
in Pflegeheimen geben, sodass die Mittelverwendung durch die Länder besser nachvollziehbar wird, riet Moser.
Weitere ReferentInnen bei der Enquete sind die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes
Ursula Frohner, der Bundesvorsitzende der Fachgruppenvereinigung des ÖGB für Gesundheits- und Sozialberufe
Josef Zellhofer, der Stellvertretende Generaldirektor des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger
Bernhard Wurzer und der Leiter der Direktion Bevölkerung der Statistik Austria Josef Kytir. Die Diskussionen
sind bis in den Nachmittag hinein anberaumt.
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