Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

 

erstellt am
10. 05. 16
11:00 MEZ

Zeitzeuge Marko Feingold: "Das Wichtigste im Leben ist die politische Einstellung"
Wien (pk) - "Gestern war ein Tag der Freude! Tausende Menschen, die am Heldenplatz gemeinsam ein Fest der Freude feierten, am 8. Mai – jenem Tag, an dem die Wehrmacht vor den Alliierten kapitulierte und der verbrecherische Vernichtungskrieg in Europa sein Ende fand. Das war nicht immer so: Vor wenigen Jahren noch haben sich am Heldenplatz jedes Jahr eine Handvoll Menschen versammelt, die diesem Tag mit Trauer begegnet sind. Aber heute ist rund um die Hofburg kein Platz mehr für Menschen, die die Niederlage der Nationalsozialisten beklagen. Und das ist gut so!"

Mit diesen Worten eröffnete Nationalratspräsidentin Doris Bures am 09.05. ihre Begrüßungsrede anlässlich der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus im Historischen Sitzungssaal des Parlaments.

Neben Bures sprachen auch Bundesratspräsident Josef Saller und der NS-Überlebende Marko Feingold zu den rund 600 Gästen. Für die eindrucksvolle künstlerische Gestaltung der Veranstaltung sorgten die Schauspielerin und Rezitatorin Anne Bennent und der Akkordeonist Otto Lechner. Eigens für den Gedenktag haben die beiden KünstlerInnen die "Todesfuge" von Paul Celan, mehrere Gedichte der 1942 in einem NS-Zwangsarbeiterlager ermordeten Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger sowie Lyrik der österreichischen Schriftstellerin Ilse Aichinger vertont.

Nationalratspräsidentin Doris Bures: Wir müssen auf der Hut sein
Nationalratspräsidentin Doris Bures sprach von Österreichs Lehren aus der Geschichte und mahnte, weiterhin auf der Hut zu bleiben: "Wir haben beschönigende Geschichtsmythen hinter uns gelassen." Österreich sei damit aber auch „die Verpflichtung eingegangen, im Hier und Jetzt ganz besonders wachsam zu sein. Und wir haben allen Grund dazu: Zahlen des Innenministeriums belegen einen Anstieg rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Aktivitäten in Österreich. Im Vorjahr wurden rund 1.200 Fälle bekannt. Wir müssen auf der Hut sein! Auf der Hut sein, wenn unantastbar geglaubte Tabugrenzen überschritten werden."

Am Ende Ihrer Rede bedankte sich die Nationalratspräsidentin überdies für das wertvolle Engagement des "Zeitzeugen eines Jahrhunderts" Marko Feingold und bei Bundespräsident Heinz Fischer, der sich in allen Stationen seines politischen Lebens für die Opfer des Nationalsozialismus eingesetzt habe. Der Nationalfonds für die NS-Opfer habe unter seiner Leitung als Nationalratspräsident die Arbeit aufgenommen – und Fischer habe ihn geprägt. Bures zu Fischer: "Die 1. Gedenktagveranstaltung 1998 hier im Parlament fiel in Deine Amtszeit. Und ich glaube, Du hast seit 1998 nur einen einzigen Gedenktag versäumt. Ich weiß, es war Dir niemals bloß Verpflichtung, sondern ein ehrliches Bedürfnis und Ausdruck deiner tiefen politischen Überzeugung."

Bundesratspräsident Josef Saller: Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus bietet eine Chance
Bundesratspräsident Josef Saller sagte in seiner Begrüßungsrede: "Es hat seine Zeit gedauert, bis das Langzeitgedächtnis dieser Republik erwachte und wir uns unserer Vergangenheit gestellt haben. Es brauchte Jahrzehnte, um die Rückgabe geraubten und arisierten Eigentums in Angriff zu nehmen oder die Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern umzusetzen."

Heute biete die "aufrichtige und klare Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus eine Chance, die Generationen zu einen". Seinen höchsten Respekt zollte Saller Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der NS-Zeit: "Sie mussten das Leid, die Ungerechtigkeit, die Schmach und den Schmerz am eigenen Leib erfahren und haben dennoch die unglaubliche Kraft gefunden, ihr Leben dem Mahnen und der Versöhnung zu widmen."

Feingold: Das Wichtigste ist die Demokratie
"Die schlimmste Erfahrung im Konzentrationslager ist der Hunger gewesen. Viele Häftlinge sind stehend gestorben." Das erzählte der Zeitzeuge Marko Feingold in seinem Gespräch mit Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums Wien. Feingold ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und feiert Ende Mai seinen 103. Geburtstag. Er berichtete äußerst eindringlich aus seinem langen Leben. Etwa von Transporten, bei denen unzählige NS-Opfer ermordet wurden. Feingold beendete das Gespräch mit Spera mit den Worten: "Das Wichtigste im Leben ist die politische Einstellung. Das Wichtigste ist die Demokratie. Diktaturen sind immer schlecht, egal ob von links oder von rechts oder auf religiöser Basis."

Der 5. Mai, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, ist seit 1997 der Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Nationalratspräsidentin Bures und Bundesratspräsident Saller begrüßten zur diesjährigen Veranstaltung im Historischen Sitzungssaal des Parlaments zahlreiche Gäste, unter ihnen Überlebende der NS-Verbrechen, Bundespräsident Heinz Fischer, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Mitglieder der Bundesregierung.

   

Die Rede von Nationalratspräsidentin Doris Bures im Wortlaut

"Gestern war ein Tag der Freude! Einige von Ihnen waren vielleicht selbst am Heldenplatz. Andere haben die Bilder im Fernsehen gesehen: Tausende Menschen, die gemeinsam ein Fest der Freude feiern, am 8. Mai – jenem Tag, an dem die Wehrmacht vor den Alliierten kapitulierte und der verbrecherische Vernichtungskrieg in Europa sein Ende fand.

Das war nicht immer so: Vor wenigen Jahren noch haben sich am Heldenplatz jedes Jahr eine Handvoll Menschen versammelt, die diesem Tag mit Trauer begegnet sind. Aber heute ist rund um die Hofburg kein Platz mehr für Menschen, die die Niederlage der Nationalsozialisten beklagen. Und das ist gut so!

Drei Tage vor der Kapitulation der Wehrmacht, am 5. Mai 1945, haben amerikanische Truppen das KZ Mauthausen befreit. Die unfassbaren Bilder von damals haben sich in all ihrer Entsetzlichkeit in das kollektive Gedächtnis unseres Landes eingegraben.

Seit fast 20 Jahren ist der 5. Mai der offizielle österreichische Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Rund um diesen Tag verneigen wir uns im Parlament jedes Jahr vor den Opfern und halten die Erinnerung an sie hoch. Ich glaube wir dürfen heute zu Recht sagen: Österreich hat viele Lehren aus der Vergangenheit gezogen.

Wir haben beschönigende Geschichtsmythen hinter uns gelassen, versteckte Winkel ausgeleuchtet, haben uns unserer Verantwortung gestellt. Wir sind damit die Verpflichtung eingegangen, auch im Hier und Jetzt ganz besonders wachsam zu sein. Und wir haben allen Grund dazu: Zahlen des Innenministeriums belegen einen Anstieg rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Aktivitäten in Österreich. Im Vorjahr wurden rund 1.200 Fälle bekannt.

Wir müssen auf der Hut sein! Auf der Hut sein, wenn unantastbar geglaubte Tabugrenzen überschritten werden. Auf der Hut sein, wenn ein Autor Mauthausen-Überlebende als "Massenmörder", "Landplage" und "Kriminelle" bezeichnet und dafür nicht belangt wird. Auf der Hut sein, wenn Rechtsextreme die Aufführung eines Bühnenstücks von Elfriede Jelinek verhindern wollen, die Universität stürmen und dabei Publikum und Schauspielerinnen drangsalieren.

Ja, wir müssen auf der Hut sein. Heute ganz besonders. Denn im Windschatten der großen europäischen Herausforderungen gedeihen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus überall besonders gut. Um es mit den Worten Erich Kästners zu sagen: "Wir dürfen nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf."

Einer, der genau dies leidvoll erfahren musste, ist heute unter uns. Wir sind dankbar, dass Sie, sehr geschätzter Herr Hofrat, den Weg nach Wien auf sich genommen haben. Lieber Marko Feingold, herzlich Willkommen im Parlament!

Als Marko Feingold 1913 geboren wurde, fanden hier – in diesem Saal – noch Sitzungen des Reichsrates in der Donaumonarchie statt. Heute ist er hier – im Herzen unserer Demokratie – um seine Geschichte zu erzählen: als Zeitzeuge eines ganzen Jahrhunderts.

Der nationalsozialistische Terror hat sein Leben in jungen Jahren geprägt: Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald haben sich tief in seine Biographie eingeschrieben. Noch heute sind Sie, lieber Herr Feingold, unermüdlich im Einsatz, um das Vergangene vor dem Vergessen zu bewahren. In einem Interview zu ihrem 100. Geburtstag haben Sie gesagt: "Das Erzählen hält mich auf den Beinen. Das ist mein Stolz." Und wer Ihnen schon einmal zuhören durfte, weiß: Sie erzählen Ihre Geschichte in aller Klarheit und Deutlichkeit.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Sie damit unzählige Menschen, besonders auch Jugendliche, erreicht und bewegt. Sie fördern damit den Mut junger Generationen, dort aufzustehen, wo sie die Demokratie und unser friedliches Zusammenleben gefährdet sehen.

Wir haben nun gleich die Gelegenheit, einem Gespräch mit Ihnen, Herr Feingold, zuzuhören. Und es gibt wenige Menschen in Österreich, die berufener wären, dieses Gespräch mit Ihnen zu führen als die hochgeschätzte Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera! Herzlich Willkommen!

Wir haben die diesjährige Gedenkveranstaltung mit einem berühmten Gedicht von Paul Celan eröffnet: "Die Todesfuge" ist ein in Lyrik gegossenes Mahnmal für den Holocaust. Anne Bennent und Otto Lechner haben sie für den heutigen Anlass ganz besonders bewegend interpretiert und vertont. Wir dürfen heute auch noch weitere Interpretationen von Ihnen hören.

Liebe Frau Bennent, lieber Herr Lechner! Herzlichen Dank für die künstlerische Gestaltung dieser Veranstaltung!

Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben sie mir, dass ich abschließend ein Wort des Dankes an unseren Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer richte! Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Du hast dich in allen Stationen deines politischen Lebens für die Opfer des Nationalsozialismus eingesetzt. Der Nationalfonds für die NS-Opfer hat unter deiner Leitung als Nationalratspräsident seine Arbeit aufgenommen – und du hast ihn geprägt. Die 1. Gedenktagveranstaltung 1998 hier im Parlament fiel in deine Amtszeit. Und ich glaube, du hast seit 1998 nur einen einzigen Gedenktag versäumt. Ich weiß, es war dir niemals bloß Verpflichtung, sondern ein ehrliches Bedürfnis und Ausdruck deiner tiefen politischen Überzeugung.

Als Bundespräsident beehrst du den Gedenktag heute das letzte Mal. Sei auf das allerherzlichste Willkommen – heute und in all den nächsten Jahren!"

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

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