Bregenz/Wien (hofburg) - Bundespräsident Alexander Van der Bellen betont in seiner Rede bei der Eröffnung
der 72. Bregenzer Festspiele die Wichtigkeit des Zusammenhalts in Europa und der europäischen Werte. Lesen
Sie hier seine Rede im Wortlaut:
Das ist ein Torero, nicht? Sie wissen, wie in Spanien der Stierkampf ausgeht? Nun hier als Stiere herauf begleitet
zu werden; am Schluss steht der Heldentod des Stieres. Wenn das das Ziel ist der heurigen Bregenzer Festspiele,
dann werden sie mit Sicherheit in die Geschichte eingehen - an Minister Drozdar, Herrn Metzler und last not least
mich selbst.
Sehr geehrte Damen und Herren aus Politik, Religion und Gesellschaft!
Geschätzte Gäste aus dem In- und Ausland!
Verehrte Ehren- und Festgäste!
Meine Damen und Herren vor den Bildschirmen!
Die Bregenzer Festspiele sind für viele Dinge berühmt, aber u.a. für ihre eindrucksvollen Bühnenbilder
auf der Seebühne. Auch das aktuelle ist wieder spektakulär. Mein Respekt gilt an dieser Stelle Bühnenbildnerin
Es Devlin und natürlich Intendantin Elisabeth Sobotka.
Meine Damen und Herren!
Wenn ich mich recht erinnere, nimmt das Bühnenbild Bezug auf „Carmen“, die Kartenlegerin, die einen Blick
in ihre Zukunft werfen möchte. Carmen erhält üble Karten. Was aber ist mit den unseren? Heute und
bald.
Die Zukunft war immer schon ungewiss, könnte man sagen, aber gerade in diesen Tagen scheint sie sich noch
undeutlicher abzuzeichnen.
Ich habe den Eindruck, dass wir in einer Zeit leben, in der alte, vielleicht auch liebgewonnene Muster in Politik
und Gesellschaft verblassen und das Neue langsam gerade erst dabei ist, Gestalt anzunehmen.
Einer Zeit zwischen den Zeiten.
Die fortschreitende Digitalisierung wälzt unsere Arbeitswelt um und bringt die lange so klaren Grenzen zwischen
privat und öffentlich mehr und mehr zum Verschwinden.
Der Klimawandel lässt keinen kalt – ausgenommen einen bekannten Präsidenten.
China fühlt sich als Weltmacht. Zu Recht oder zu Unrecht. Ich glaube, zu Recht. Russland fühlt sich als
Weltmacht. Die Weltmacht USA ist unberechenbar geworden.
Umso wichtiger ist und wird ein eindeutiger, starker Zusammenhalt in der Europäischen Union. Und dieses heutige
Europa ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es hat der Zuversicht mehrerer Generationen bedurft, um aus einem
zerstörten Europa eine gemeinsame Europäische Union zu bauen. Ich glaube, wir dürfen und werden
dieses Vereinte Europa nicht leichtfertig aufgeben.
Wenn ich mich recht erinnere, habe ich in meiner Rede in Straßburg gesagt, dass ein Baum in drei Minuten
gefällt ist, aber es braucht dreißig Jahre bis er wächst.
Eine aktuelle Herausforderung – nicht nur in Europa – ist die Bewältigung der Migration. Sie zwingt uns, Farbe
zu bekennen, wie ernst wir es denn mit Menschenrechten meinen. Und sie zwingt uns, klarzustellen, was zu den Menschenpflichten
zählt, an die sich alle - die Einheimischen und die Zugewanderten – zu halten haben.
Es ist naheliegend auf das Thema zu kommen, weil nach der Premiere von „Carmen“ am heutigen Abend steht morgen
Gioachino Rossinis Oper „Moses in Ägypten“ auf dem Programm. Unter der Regie von Lotte de Beer. Der biblische
Stoff der Oper behandelt Themen, die geradezu tagesaktuell wirken:
Exil, die Sehnsucht nach Freiheit, die Gefahren der Flucht. Einer Flucht über das Meer in eine bessere, freiere,
friedlichere Welt.
Meine Damen und Herren,
nach meiner Überzeugung sollten wir bei aller notwendigen Auseinandersetzung über konkrete Inhalte der
Politik den Kompass nicht vergessen, der die Richtung der Reise bestimmt. Dieser Kompass besteht aus europäischen
Grundwerten, die uns, unsere Republik und dieses vereinte Europa groß gemacht haben:
Freiheit, Gleichheit und Solidarität, ergänzt durch Toleranz und Respekt, Humanität und Empathie.
In einer Zeit, in der sich Vieles verändert, sollten wir unseren Blick auch auf das richten, was sich nicht
ändern soll und darf. Das sind die europäischen Grundwerte. Sie sind der Stoff, aus dem wir unsere Zukunft
zuversichtlich formen können.
Sehr geehrte Damen und Herren,
"Carmen" kann man sicher unterschiedlich interpretieren, es zeigt aber eine freiheitsliebende Frau, die
sich nicht den Regeln der Männer unterwerfen will. Die morgige Oper hier im Hause "Moses in Ägypten"
erinnert uns an die aktuelle Migrationsfrage.
Kunst konfrontiert uns – ob wir wollen oder nicht - mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen und nimmt viele
Entwicklungen vorweg.
Vom Kartenlegen halte ich nichts, aber ich bin voller Zuversicht, dass wir - ob tot oder lebendig, um wieder zurück
zum Anfang zu kommen - ganz außergewöhnliche Festspiele erleben werden.
Dazu wünsche ich Intendantin Elisabeth Sobotka und allen Beteiligten viel Erfolg!
Ich erkläre die Bregenzer Festspiele hiermit feierlich für eröffnet.
Dankeschön.
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