Bundesrats-Enquete: Subsidiaritätsprinzip
 ist zentraler Schlüssel für die Länder

 

erstellt am
08. 11. 17
13:00 MEZ

Die starke Stimme der Regionen bei der Weiterentwicklung der EU
Wien (pk) – Die Enquete des Bundesrats setzte am 7. November ihre Beratungen mit den Stellungnahmen der Präsidenten der Landtage von Niederösterreich, Burgenland, Oberösterreich und Vorarlberg fort, wobei vor allem das Subsidiaritätsprinzip im Mittelpunkt stand. Einig waren sich die Vortragenden, dass es starke Regionen brauche, weil Reformen nicht von oben verordnet werden können. Es sei wichtig, dass die Länder ihre Positionen zum Weißbuch "Zukunft der EU" aktiv einbringen und ihre Forderungen präsentieren, meinte Hans Penz (Niederösterreich). Der Vorarlberger Harald Sonderegger plädierte dafür, "das Richtige effizienter zu tun". Aus oberösterreichischer Sicht heißt das, dass die Union nur dort tätig sein soll, wo die angestrebten Ziele nicht durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder der Regionen besser erreicht werden können, betonte Viktor Sigl. Die institutionellen Rechte der Regionen mit Gesetzgebungskompetenz müssen nach Auffassung von Christian Illedits (Burgenland) jedenfalls gewahrt werden.

Hans Penz: Gelebte Subsidiarität statt europäischer Super-Staat
Der niederösterreichische Landtagspräsident Hans Penz bedauerte, dass Europa in den letzten Jahren "zu einem geschundenen Wort geworden ist, zu einem Synonym für Krise". Auch wenn es durchaus berechtigte Kritik gebe, so sei er sicher, dass die BürgerInnen grundsätzlich Europa wollen. Sie wollen aber ein anderes – eines, das sozial, solidarisch, human und bürgernah ist. Penz hielt es daher für sehr wichtig, dass sich die Regionen intensiv in die Diskussion über die Zukunft der EU einbringen, da sie nahe an den Menschen dran sind. Im Hinblick auf den Rechtssetzungsprozess gebe es konkrete Forderungen von Seiten der Regionen, wie etwa die Verlängerung der Frist für die Subsidiaritätsprüfung von acht auf zwölf Wochen oder die Einführung einer "roten Karte", wenn eine Mehrheit der Parlamente eine Subsidiaritätsrüge erteilt.

Der Vorsitzende der österreichischen Landtagspräsidentenkonferenz war überzeugt davon, dass die von den Regionen eingebrachten Vorschläge und Anregungen nunmehr auch das entsprechende Gehör finden und dass die Kommission den Mehrwert eines stetigen Dialogs zu schätzen weiß. Was aus Sicht der Landesparlamente jedenfalls von besonderer Bedeutung ist, sei die strikte Wahrung eines lebendigen Subsidiaritätsprinzips. Dies bedeutet, dass darauf Bedacht zu nehmen ist, dass Regelungen auf europäischer Ebene erst dann geschaffen werden, wenn durch sie ein substanzieller Mehrwert für Europa insgesamt, die Mitgliedstaaten und die Regionen sowie für die BürgerInnen zu erwarten ist. Bestehen Zweifel darüber, auf welcher Ebene eine Regelung anzusiedeln ist, dann soll der föderalen bzw. subsidiären Kompetenzzuordnung der Vorzug gegeben werden. Der Grundsatz der Subsidiarität gelte aber auch für die innerstaatliche Aufgabenzuteilung. "Nicht alles was zentral ist, ist billiger, nicht alles was zentral ist, ist effizienter".

Penz sprach sich dagegen aus, dass aus der Europäischen Union ein "Super-Staat" mit den damit einhergehenden "Bürokratiemonstern und Kompetenzirrungen" wird. Europa ist seiner Meinung nach eine "concordantia discordantium", ein Werk, das ganz Verschiedenes, auch Widersprüchliches zur Übereinstimmung bringt. Ein großes Haus mit vielen Räumen, vielen Türen, vielen Kulturen und vielen Arten von Menschen. Dieses Haus sei die Heimat Europas, bekräftigte er abschließend.

Illedits: Regionen wollen faire und sozial gerechte Union
Der Austausch und die Vernetzung zwischen den einzelnen Städten und Regionen in Europa, also den kleinsten Einheiten, ist für den Erfolg der Union von zentraler Bedeutung, betonte auch der burgenländische Landtagspräsident Christian Illedits. "Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet", lautet der Leitspruch des Informatikers Alan Kay. Diese Maxime sollte auch für die Länder und Regionen gelten, wenn es um die Frage der Neuausrichtung der EU geht.

Ebenso wie Kommissionspräsident Juncker war Illedits der Meinung, dass es an der Zeit sei, ein neues europäisches Kapitel aufzuschlagen. Gleichzeitig warnte er jedoch davor, dass sich Europa nur mehr auf einige ausgewählte Politikbereiche konzentriert. Würde man nämlich etwa die Regionalpolitik schwächen, so entziehe man jenen Staaten, die im europäischen Wirtschaftsvergleich ohnehin schlecht abschneiden, die Entwicklungshilfe. Bereits jetzt sei man im Burgenland mit einer starken Zunahme an entsendeten Arbeitskräften sowie mit dem Problem der Scheinselbständigkeiten konfrontiert, zeigte er auf. Aus diesem Grund sprechen sich auch die Länder für eine europäische Sozialpolitik, die u.a. eine gemeinsame Arbeitsmarktbehörde vorsieht, aus. Vehement verwahrte sich Illedits gegen das Prinzip des Rosinenpickens, das einzelne Mitgliedsstaaten praktizieren. In den Mittelpunkt des Diskurses über die Neuausrichtung der EU müsse daher auch die Frage der Gerechtigkeit gestellt werden. Zu all diesen Fragen würden die Städte und Regionen ihren Beitrag leisten, damit ihre Stimme unmissverständlich gehört wird.

Sigl informiert über oberösterreichisches Subsidiaritätsprüfungsverfahren
Auch das Land Oberösterreich begrüßt den Diskussionsprozess, den die Europäische Kommission durch die Vorlage des "Weißbuchs zur Zukunft Europas" eingeleitet hat, und die zahlreichen teils grenzüberschreitenden Bestrebungen, sich in diese so wichtige Debatte einzubringen, erklärte Viktor Sigl. Der oberösterreichische Landtag habe eine eigene Position zum Weißbuch vorgelegt, in der es um strukturelle Fragen sowie die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen geht. Generell halte man wenig von einer Festlegung auf ein einziges Modell, führte Sigl aus. Aus der Sicht Oberösterreichs sei es vielmehr zielführender, bestimmte Orientierungspunkte zu formulieren. So sei man etwa überzeugt davon, dass die Lösung der Zukunftsfrage der EU letztlich nur in einer Differenzierung liegen könne - in einer konsequenten Abwägung, wo mehr und wo weniger Tätigkeiten der Union erfolgen sollen. Das Subsidiaritätsprinzip sei der zentrale Schlüssel und müsse in den Mittelpunkt eines Zukunftsszenarios der Europäischen Union gesetzt werden. Gleichzeitig müsse sichergestellt werden, dass eine solche "Multi-Level-Governance" tatsächlich eingehalten und kontrolliert wird.

Sigl informierte darüber, dass der oberösterreichische Landtag vor drei Jahren ein eigenes Subsidiaritätsprüfungssystem eingeführt hat. Die Abgeordneten haben damit ein wichtiges Instrument in der Hand, um konkrete oberösterreichische Interessen im Rahmen der EU-Politik zu identifizieren und zu kommunizieren. Gegenstand der Prüfungen ist ein streng formaler Ansatz, nämlich die Frage, ob die Union bei ihren Rechtssetzungsvorhaben das Prinzip der Subsidiarität einhält. Inhaltliche, quasi "politische" Positionen werden in den Stellungnahmen tunlichst vermieden, was dazu führt, dass fast alle Prüfungsergebnisse im EU-Ausschuss einstimmig beschlossen werden. Auch wenn damit nur ein kleiner Beitrag geleistet werden könne, sei er überzeugt davon, dass jede einzelne Stimme im Gesamtgefüge Europas wichtig ist. Denn Subsidiarität sei das Bindemittel in einer Union, die Gefahr laufe, brüchig zu werden.

Sonderegger wünscht sich einen ehrlichen und transparenten Revisionsprozess für Europa
Der Vorarlberger Landtagspräsident Harald Sonderegger hielt es für dringend notwendig, über eine Neuausrichtung der Europäischen Union zu diskutieren. Gerade in jüngster Zeit seien Ereignisse und Stimmungen zu Tage getreten (z.B. Brexit), die an den Grundfesten der EU rütteln und die die Union als Ganzes oder in Teilen in Frage stellen. "60 Jahre nach den Römischen Verträgen soll und muss manches in der EU – sozusagen im Sinne einer altersbedingten Revision – nachjustiert werden, wenn wir all die Dinge, die uns wichtig sind, bewahren wollen", betonte Sonderegger. Es sei gut, dass dieser Prozess aus dem "Inneren" der EU heraus initiiert wurde, bevor ein nicht mehr steuerbarer Erneuerungsdruck von anderer Seite, in nicht mehr kanalisierbare, unterschiedliche Richtungen, seinen Lauf genommen hätte.

Die EU brauche einen Modernisierungsprozess, sie muss unmittelbarer, klarer und subsidiärer werden, ohne die Grundideen und Grundfreiheiten der Wirtschafts- und Währungsunion in Frage zu stellen oder aufzugeben, konstatierte Sonderegger. Die Handlungsfähigkeit der EU müsse verbessert werden und das Vertrauen der BürgerInnen in die Gestaltungskraft der EU (wieder)hergestellt werden. Auch wenn es seitens der Länder keine eindeutige Präferenz für ein Szenario gebe, so wünsche er sich, dass das Prinzip "das Richtige effizienter tun" umgesetzt wird. Dabei müsse vor allem die zentrale Frage beantwortet werden, in welchen Politikfeldern ein Mehr oder ein Weniger an EU richtig sei.

Die Erneuerung bzw. Weiterentwicklung der EU werde jedoch nicht gelingen, wenn einzelne nationale Interessen in den Vordergrund gestellt und wenn nur kosmetische "Reförmchen umgesetzt werden, gab er zu bedenken. Es müssten nachvollziehbare Antworten auf die Fragen und Nöte der Menschen gegeben werden. Es sei daher notwendig, sich ehrlich in den inhaltlichen Prozess einzulassen und den Subsidiaritätsgedanken in den Vordergrund zu stellen. Diese Sichtweise werde es ermöglichen, gute Kompromisse zu finden, die nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner widerspiegeln, sondern die ein Bild von Europa zeichnen, das nahe am Bürger ist.

Debatte: Mehr Bürgernähe und weniger Bürokratie
In der daran anschließenden kurzen Diskussion wies die freiheitliche Europaabgeordnete Barbara Kappel darauf hin, dass der österreichische Bundesrat als "best-practice-Beispiel" für die Subsidiaritätsprüfung ausgezeichnet wurde. Europa stehe aktuell vor sehr großen Herausforderungen; diese könnten nur gemeinsam gelöst werden. Die Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament, Monika Vana, sah einen tiefgreifenden Reformbedarf in der EU. Dies betreffe auch die Strukturfonds, die transparenter und unbürokratischer werden müssten. Außerdem trat sie für eine Stärkung der Kohäsionspolitik ein, die ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Ungleichheiten und Armut darstellte. Aus Sicht der Wirtschaftskammer sollte sich die EU auf Maßnahmen mit einem klaren europäischen Mehrwert konzentrieren, erklärte Christian Mandl (Wirtschaftskammer). Deshalb unterstütze seine Organisation die von Kommissionspräsident Juncker angekündigte Einrichtung einer Subsidiaritäts-Taskforce. In der Kohäsionspolitik sollten zudem die Themen Innovation, KMU und Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund stehen. Die aktuelle Krise in Katalonien zeige, wie wichtig der Dialog ist, unterstrich Nicolaus Drimmel vom Österreichischen Gemeindebund, und dieser fange in den Kommunen an.

Die Zustimmung zu Europa werde dann wieder steigen, wenn sich die EU auf die großen Dinge konzentriert, und die kleinen den Ländern und Gemeinden überlässt, urteilte Bundesrat Eduard Köck (V/N). Außerdem wünschte er sich eine Entbürokratisierung bei der Abwicklung der einzelnen Programme. Nach Auffassung von Stefan Schennach (S/W) braucht es eine stärkere Souveränität der EU in manchen Bereichen, wie z.B. in der Sozial- und in der Steuerpolitik. Es müsse alles getan werden, dass die hohen Umwelt- und Sozialstandards der EU in den internationalen Handelsabkommen wie CETA oder TTIP gewahrt bleiben, forderte Bundesrätin Nicole Schreyer (G/T).

Subsidiarität heiße auch, dass die Entscheidungen auf den jeweiligen Ebenen akzeptiert werden müssen und nicht immer alle mitsprechen können, erklärte EU-Kommissar Johannes Hahn. Derzeit dauere etwa ein normaler Gesetzgebungsakt eineinhalb bis zwei Jahre. Da gelte es eine sinnvolle Balance zu finden.

 

 

Vertreter von EU-Kommission, EU-Parlament, Außenministerium und Föderalismus-Experte
Beim Themenblock zum Leitthema der Parlamentarischen Enquete des Bundesrats standen sowohl in den Statements, als auch in einer anschließenden Diskussionsrunde neben den Partizipationsrechten und der Subsidiarität zahlreiche konkrete Weiterentwicklungsansätze der Europäischen Union im Mittelpunkt. Die Impulsreferate dazu hielten der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien, Jörg Wojahn, der Leiter des Informationsbüros des Europäischen Parlaments in Wien, Georg Pfeifer, sowie Alexander Schallenberg vom Außenministerium und Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus der Universität Innsbruck.

Wojahn: Bürgernähe und Subsidiarität für unterschiedliche Interessenslagen
Der Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien, Jörg Wojahn, warf eine Reihe von Fragen auf. Nicht zuletzt durch den Brexit seien alle dazu gezwungen, sich über die Zukunft mit 27 Mitgliedsstaaten Gedanken zu machen. Die Nähe zum Bürger müsse ein Maßstab sein, hier stelle sich aber aufgrund der Unterschiedlichkeit und Interessenslagen die Frage, welcher Bürger im Detail. Am Beispiel Entsenderichtlinie zeigen sich Wojahn zufolge etwa Unterschiede der Ansprüche – und die Aufgabe der Kommission sei nicht nur, nah am abstrakten Bürger oder der Bürgerin zu sein, sondern konkret die verschiedenen Interessen zu sehen. Ähnlich verhalte es sich mit der Frage der Subsidiarität und den unterschiedlich gelagerten Interessen der jeweiligen Regionen. So sei bei der Subsidiarität konkret die Frage zu stellen, in welchen Bereichen mehr oder weniger getan werden müsse. Die Schwierigkeit für einen Konsens zeige sich etwa an Beispielen wie Landwirtschaft, Verteidigung und Außenhandel, so Wojahn.

Der weitere Ausbau der sozialen Dimension sei der Kommission wichtig - diese könne aber nur auf Grundlage der Verträge ausgebaut werden, auch hier gebe es unterschiedliche Sichtweisen der Mitgliedsstaaten. Ebenso vielschichtig gestalte sich die Debatte, die Globalisierung zu meistern oder das Thema EU-Finanzen, hier stehe nächstes Jahr eine Diskussion über einen mehrjährigen Finanzrahmen bevor. Zu überlegen wären dabei etwa die Verwaltung der Mittel, Kredite oder Subventionen, andere Finanzinstrumente oder neue Quellen für Eigenmittel. Zur Subsidiarität könne Wojahn Fragen nur aufwerfen, die Entscheidungen würden von den Regierungen und dem EU-Parlament getroffen.

Pfeifer: Appell, hohe Wahlbeteiligung bei nächster Europawahl anzustreben
Das Vereinte Europa als Vermächtnis für künftige Generationen ist nicht selbstverständlich, betonte der Leiter des Informationsbüros des Europäischen Parlaments in Wien, Georg Pfeifer. Er verwies auf drei Entschließungen des EU-Parlaments in Form von Berichten zur Zukunft Europas: Demnach sollte, wenn es um die Frage der Weiterentwicklungsmöglichkeiten Europas im Rahmen des Lissabonner Vertrags geht, etwa der Ministerrat in eine wirkliche zweite Gesetzgebungskammer umgewandelt werden. Enthalten seien in dem Bericht auch Vorschläge betreffend Struktur der Ratsformationen, zur Auswahl der Kommissar-KandidatInnen und zum Prozedere der Beschlussfassung des Rats. Zudem könnte ein ständiger Rat der Verteidigungsminister eingesetzt werden. Im Zuge einer Vertragsreform stehe darüber hinaus die Schaffung eines EU-Finanzministers am Plan, erläuterte Pfeifer aus dem zweiten Bericht zur Frage einer Weiterentwicklung der Lissabonner Verträge im Rahmen eines Konvents, also einer Vertragsänderung. Vorgeschlagen würden hier auch Ansätze für einen einzigen EU-Parlamentsstandort, weiters eine Verringerung der Kommissionsgröße und eine Art Direktwahl des Kommissionspräsidenten. In jenem Bericht zur Stärkung der Eurozone geht es unter anderem darum, einen europäischen Währungsfonds zu errichten, weiters um Strukturen der EU-Finanzkapazität, um einen sogenannten Konvergenz-Kodex und um eine größere Rolle für die Parlamente zur Steuerung der Eurozone.

Angesprochen werde in den Berichten auch eine Sicherung der Rolle des Ausschusses der Regionen und eine Unterstützung der schwächeren Regionen durch den Grundsatz der Solidarität, sagte Pfeifer. Viele der Vorschläge würden zwar nicht bis zur nächsten Europawahl umgesetzt werden können, trotzdem appelliert er, in Österreich die Ratspräsidentschaft zu nutzen, wichtige Aspekte zu erreichen – etwa eine künftige hohe Europawahlbeteiligung.

Schallenberg: Subsidiarität ist ein wesentliches Element
Alexander Schallenberg vom Außenministerium verwies auf den Begriff Krise als meistgebrauchtes Wort im Zusammenhang mit der EU. Jetzt gelte es, eine Zukunftsdebatte zu führen. Es brauche einen Kurswechsel, eine offene Diskussion darüber, wo man stehe und wo man hinwolle, sagte Schallenberg. Der Brexit sei ein Weckruf, der zeige, dass die EU kein Selbstläufer ist. Die Zukunftsdebatte habe bereits begonnen, wichtig ist aus seiner Sicht, dass dieser Prozess ein breiter und transparenter ist und der Fokus auf Kernthemen für praktische Ergebnisse für konkrete Probleme der BürgerInnen liegt. Ganz oben würden dabei die Themen Sicherheit, Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion und die Funktionsweise der EU an sich stehen.

Subsidiarität sei ein wesentliches Element, so Schallenberg, es müssten Lösungen präsentiert werden, um das Vertrauen in die EU wiederzugewinnen. Vorschläge wie ein Subsidiaritätspakt oder eine Task Force seien hier genau die richtigen Signale.

Ergänzend ging Schallenberg auf das Thema Europäische Integration ein – hier dürfe es nicht das Gefühl einer Zweiklassengesellschaft innerhalb der Union geben, das sei eine sehr gefährliche Entwicklung. Außerdem sollte die Zukunftsdebatte bzw. auch der Brexit nicht zu einer Nabelschau verkommen, die internationale Verantwortung etwa hinsichtlich Westbalkan sei nicht zu vergessen. Österreich werde sich auch im Hinblick auf den Ratsvorsitz jedenfalls aktiv und konstruktiv in diese Zukunftsdebatte einbringen.

Bußjäger: Zukunft für Europa der Regionen gestalten
Föderalismus-Experte Peter Bußjäger bezog sich in seinem Referat unter anderem auf die Ereignisse in Katalonien. Für Bundesländer und Regionen hinsichtlich Zukunft der Europäischen Union müsse es darum gehen, Mängel anders als in Spanien zu sanieren. Die Zukunft sollte selbst gestaltet werden, so Bußjäger. Insgesamt habe die EU mit dem Begriff "Europa der Regionen" ein Schlagwort produziert, das mit der Realität wenig zu tun habe - die Regionen würden demnach weitgehend ausgeblendet, so seine Kritik.

Gründe für diesen enttäuschenden Befund liegen Bußjäger zufolge in Schwächen bei den Mitwirkungsmöglichkeiten am EU-Entscheidungsprozess, etwa über den Ausschuss der Regionen, dessen Position auf die Abgabe einer unverbindlichen Stellungnahme reduziert sei. Bei der Subsidiaritätsprüfung liege die Problematik im Verfahren an sich: Hier zeige die Erfahrung, dass die vorgegebenen Fristen zu knapp sind, zudem würden die meisten Subsidiaritätsbedenken in der Kommission unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus kritisiert der Föderalismus-Experte, dass es kaum Judikatur zum Subsidiaritätsprinzip am Europäischen Gerichtshof gibt. Hier hätten die nationalen Parlamente von ihrem Recht, eine Subsidiaritätsklage anzustreben, bisher keinen Gebrauch gemacht.

Aus Sicht der subnationalen Gebietskörperschaften sei daher an diesen Rahmenbedingungen anzusetzen, so Bußjäger. Die Länder sollten sich über die verfassungsrechtlich verankerten Partizipationsrechte noch stärker engagieren, Bundesrat wie Nationalrat müssten etwa Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip stärker als solche identifizieren und auch Mittel wie die Subsidiaritätsklage in Erwägung ziehen.

Kernthemen von Subsidiarität bis Sozialstandards und Lohndumping
Im Zuge der Debatte verwies Bundesrat Christoph Längle (F/V) etwa auf Herausforderungen und Probleme an manchen EU-Rändern. Auch beim Brexit werde sich erst zeigen, wie sich die EU mit 27 Staaten verhalten werde. Insgesamt sei vieles zu tun, etwa der EU-Rechnungshof zu reformieren, Steuertransparenz einzuführen und Steuervermeidung mit Gesetzen und Kontrollen entgegenwirken. Die Bedeutung der Subsidiarität könne er nur unterstreichen – im Kleinen sei man direkt an den Problemen und könne besser einwirken. Wenn der Gedanke der Subsidiarität in Vordergrund stehe, werde ein Europa für eine bessere Zukunft gelingen.

Seitens der Bundesarbeiterkammer verband Norbert Templ die Frage der Zukunft der EU untrennbar mit der sozialen Dimension. Für eine Sozialunion brauche es eine breite Debatte und Weichenstellungen mit einer sozialen Neuausrichtung, etwa durch Ausweitung der Sozialstandards und mit Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping. Für Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit seien die Mitgliedsstaaten zwar verantwortlich, aber in den Handlungsmöglichkeiten durch EU-Fiskalregeln massiv eingeschränkt, hier brauche es Maßnahmen wie beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer.

Der Landtagspräsident Burgenlands, Christian Illedits, pflichtete Templ bei, dass die Maxime gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort lauten müsse. Lohndumping etwa bei Entsendung sei keinesfalls zu tolerieren. Keinesfalls dürfe auch die soziale Säule nach unten revidiert werden. Die Aufgabe müsse sein, für alle ArbeitnehmerInnen in Europa die gleichen Sozialstandards zu schaffen.

An Peter Bußjäger wandte sich Bundesrat Stefan Schennach (S/W), um dessen Pessimismus zu relativieren. Denn was Subsidiaritätsrügen betreffe, agiere die Länderkammer beispielhaft und die Kommission sei durchaus auch gefolgt. Etwa bei Wettbewerbs- und Konzessionsrichtlinie, Saatgutrichtlinie oder Datenschutzrichtlinie habe der Bundesrat manches bewirkt und in vielen Dingen wirkliche Meilensteine gesetzt. Für verbesserungswürdig hält Schennach die Möglichkeiten zur Europäischen Bürgerinitiative.

Der Präsident des Ausschusses der Regionen, Karl-Heinz Lambertz, sprach seinen expliziten Dank für die heutige Veranstaltung und den konkreten Dialog aus. Es bleibe vieles zu tun, etwa die Umorganisation, dass Europa auch mit 27 Mitgliedsstaaten funktioniert. Ein Reformprozess sei allerdings nur einstimmig möglich, eine solche Restauration gestalte sich immer schwierig. Subsidiarität ist für ihn jedenfalls das Kernthema, es gelte, diesen Begriff so konkret wie möglich zu machen. Auch wenn es das starke Instrument der Subsidiaritätsklage gibt, ist Lambertz zufolge zu bedenken, dass eine voreilige Klage auch das Instrument an sich schwächen könnte.

 

 

EU-GemeinderätInnen erkennen Schwächen bei der Aufbereitung von Informationen
Informationen der EU sollten besser aufbereitet werden, so die Kernbotschaft der Praxisvorträge zur Zukunft der EU gehalten wurden. In einer Diskussion mit EU-GemeinderätInnen, moderiert von Johannes Huber, berichteten die RednerInnen über das fehlende Verständnis der BürgerInnen von der EU.

Praxis zeigt: EU müsste Informationen einfacher aufbereiten
"Die Leute sehen die Vorteile der EU nicht, da sie zur Normalität geworden sind", meinte etwa Alois Schmidt, Gemeinderat von den Grünen. BürgerInnen müssten künftig merken, welche Vorteile die Mitgliedschaft in der Europäischen Union für sie bringt. Dafür bedarf es verständlicher Information, so Schmidt, der auch die politische Bildung in der Schule verbessern will. Wichtig sei, dass sich die BürgerInnen als EuropäerInnen fühlen, sagte er und riet dazu, den Finanzmarkt zu regeln und die Flüchtlingsfrage zu klären.

In die gleiche Kerbe schlug auch der FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Jung. Seitens der EU ortet er totales Schweigen. Die Informationsaufbereitung müsse dringend verbessert werden, unterstrich er und kritisierte die Europapolitik Wiens. Berichte seien inhaltlich zu kompliziert und oftmals nur auf Englisch. Geht es nach Jung, so sollte sich die EU mehr mit bürgernahen Themen beschäftigen. Seine Fraktion versuche Schwachstellen der EU aufzuzeigen, möchte deswegen aber nicht als europafeindlich angesehen werden, stellte er klar. Für ihn bedarf es nun einer langsameren Weiterentwicklung der EU, worin er Vorteile für die BürgerInnen sieht.

Die Menschen vergessen die Errungenschaften der EU, erzählte die SPÖ-Rednerin Pia Vinogradova über ihre Erfahrungen als EU-Gemeinderätin und stimmte darin mit den Grünen überein. Europa müsse in den Köpfen und Herzen der Menschen ankommen. Dieses Gefühl müsse den Menschen zurückgebracht werden. Dazu sei es notwendig, den Solidaritätsgedanken auszubauen und das Sozialsystem sicherzustellen. Die Informationen von der EU seien inhaltlich gut, meinte sie - jedoch sehr technisch.

Deregulierung ist die Lösung für Harald Witwer, ÖVP-Bürgermeister von Thüringen. "Die EU wird als abstrakt empfunden", sagte er. In diesem Sinne müsste sich die EU um wesentliche Dinge kümmern, anstatt die Krümmung von Gurken zu regulieren. Aus der Praxis berichtete Witwer über das Gefühl in der Bevölkerung, dass die EU es nicht schaffe, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aufzubauen. Dennoch entwickle sich die EU nicht schlecht, meinte er. Sie habe aber die Menschen durch die rasche Entwicklung überfordert, daher gehöre das Tempo reduziert, so Witwer.

Mehrwert der EU stärker an BürgerInnen herantragen
Grenzkontrollen zu Deutschland verärgern die BürgerInnen in Salzburg, berichteten Barbara Sieberth vom Salzburger Landtag und Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP-Bundesrätin) in ihren Diskussionsbeiträgen. Wir sind Teil der EU, erinnerte Eder-Gitschthaler und appellierte erneut, die EU auf Gefühlsebene zu bringen. Der Mehrwert müsse bei den BürgerInnen ankommen, merkte der Bundesrat Gerd Krusche (F/T) an. Die heutige Jugend sei mit der Reisefreiheit aufgewachsen, nun dominierten negative Schlagzeilen das Bild der EU. In diesem Zusammenhang drängte er darauf, das Immigrationsthema zu lösen.

Die Vorteile der EU müssten stärker an die BürgerInnen herangetragen werden, schloss sich SPÖ-Bundesrat Günther Novak an. Dazu gehören unterschiedliche Projekte, so Novak. Beispielsweise gebe es sehr gute Angebote für junge Menschen, die zu mehr Verständnis für die EU beitragen, unterstrich der ÖVP-Politiker Christian Buchmann vom Landtag Steiermark.  

 

 

Bundesländer und Regionen fordern mehr Bürgernähe in der EU ein
Abschluss der Parlamentarischen Bundesrats-Enquete zur Zukunft der EU mit Stellungnahmen der Fraktionen
Zum Abschluss der Enquete des Bundesrats legten seitens der Bundesratsfraktionen Martin Preineder (V/N), Stefan Schennach (S/W), Monika Mühlwert (F/W) und Heidelinde Reiter (G/S) ihre durchaus kontroversiellen Ansichten zur Zukunft der EU aus Sicht der Bundesländer und Regionen dar. Zur Sprache kamen hier insbesondere die Subsidiaritätsprüfung und die BürgerInnennähe. Einig waren sich die Fraktions-SprecherInnen hinsichtlich der Bedeutung des Bundesrats, auch im Hinblick auf die Mitwirkung an der EU-Gesetzgebung.

Rund um die Frage, wie Europa in Zukunft gestaltet werden soll, standen zuvor bereits Impulse von EU-Kommissar Johannes Hahn, vom Präsidenten des Ausschusses der Regionen, Karl-Heinz Lambertz, sowie von den Landtagspräsidenten Hans Penz (NÖ), Christian Illedits (Bgld), Viktor Sigl (OÖ) und Harald Sonderegger (Vlbg) auf dem Programm. Weitere Statements kamen von den Vertretungen der EU-Kommission und des EU-Parlaments in Wien, vom Außenministerium und von Peter Bußjäger, Institut für Föderalismus der Universität Innsbruck. Anschließend diskutierten GemeinderätInnen über Erfahrungen aus der Praxis. Eröffnet wurde die Enquete am Vormittag von Bundesratspräsident Edgar Mayer (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1108, 1109, 1111 sowie 1112 und 1113).

Zukunft der EU – BürgerInnen erreichen
Europa sei in einem unruhigen Zustand, fasste Martin Preineder (V/N) die Ergebnisse der Diskussionen zum Thema Zukunft der EU zusammen. Europa müsste neu gedacht werden, dazu gehöre, die Probleme der BürgerInnen zu lösen. Dies könne durch die Verstärkung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ebenso geschehen, wie durch das Denken als Rechts- und Wertegemeinschaft. In diesem Sinne sollte die EU künftig vermehrt über den Sinn der Gesetze informieren, um größeres Verständnis seitens der BürgerInnen zu erhalten. Subsidiarität dürfe jedenfalls nicht bedeuten, dass unangenehme Aufgaben an andere weitergereicht werden, vielmehr sollen die eigenen Probleme verantwortungsvoll gelöst, der Dialog mit den BürgerInnen verstärken werden.

Stefan Schennach (S/W) verwies wie bereits Edgar Mayer zu Beginn der Enquete auf die noch dieses Jahr stattfindende europäische Subsidiaritätskonferenz. Der EU müssen die Souveränität, die ihr zustehen - er nannte als Beispiel das Thema Migration - zurückgegeben werden. Er forderte ein duales Ausbildungssystem innerhalb Europas und plädierte dafür, Lehrlinge zu stärken und sie wie Studierende zu behandeln. Gemeinsam an einem Strang zu ziehen sei notwendig, sagte der Bundesrat und erinnerte dabei an die Solidarität, die etwa auch bei der Griechenland-Krise über die EU-Länder hinweg spürbar war. Schennach schloss seine Stellungnahme mit einem Wunsch an die Landtage ab, doch "zeitgerechter" im gemeinsamen Prozess zu handeln, wobei er aber die gute Zusammenarbeit unterstrich.

Bei aller Kritik gebe es auf Seite der Bevölkerung immer eine Mehrheit für den Verbleib in der Europäischen Union, so Monika Mühlwert (F/W), die aber gleichzeitig mahnte, dass EU-Politik nicht an der Bevölkerung vorbei stattfinden dürfe. Auch die vorhandene Unzufriedenheit müsse reagiert werden, sagte Mühlwert. Für die Bundesrätin steht es außer Frage, dass die EU für die äußere und innere Sicherheit in Europa zuständig ist, inhaltlich müsse man mit der betriebenen Politik allerdings wieder näher an die Menschen herankommen.

Wie groß ist das menschliche Maß für BürgerInnen, sich zu beteiligen und mitzugestalten, fragte die Salzburger Bundesrätin Heidlinde Reiter (G/S) und verwies auf die aktuelle Situation in Katalonien. Der Einsatz und Kampf um Unabhängigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, erstaune sie immer wieder aufs Neue. Bei den Föderalismusdebatten in Österreich zeige sich allerdings, eine Ablehnung gegen Tendenzen, die Bundesländer zu entmachten, ihnen Kompetenzen zu entziehen. Man bewege sich in einem stetigen Spannungsfeld, wie Subsidiarität wirklich gelingen könne, wenn parallel (globale) Kooperationen nötig sind. Für die Zukunft der EU erhofft sich die Grüne Bundesrätin eine stärkere Demokratisierung, eine Verfassung hält Reiter für notwendig. Die EU müsse nach ihrem Dafürhalten aber ein Raum bleiben, in dem Rechtsstaatlichkeit gewährleistet ist.  

     

Siehe auch hier >
Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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