Parlamentarische Dimension des EU-Ratsvorsitzes ermöglicht regen Austausch der nationalen
Europaausschüsse – McGuinness und Moser: EU-Politik braucht mehr Bürgernähe und Transparenz
Brüssel/Wien (pk) – Mit mehr als 150 Wortmeldungen verdeutlichten Europas ParlamentarierInnen bei der
60. COSAC-Konferenz vom 18. und 20. November 2018 in Wien ihre Meinungen zur Politik der Europäischen Union.
Das hielt Konferenzvorsitzender Reinhold Lopatka heute in seinen Schlussworten fest. Die gute Zusammenarbeit trotz
zuweilen divergierender Ansichten zeige, so zweiter Vorsitzender Christian Buchmann, dass die Kooperation der Europaausschüsse
der nationalen Parlamente funktioniert. Lopatka übergab zum Ende der Tagung die Vorsitzführung an die
rumänische Delegation, die im ersten Halbjahr 2019 während Rumäniens EU-Ratsvorsitz die Leitung
der COSAC innehat.
COSAC-Schlussdokumente mit breitem Themenspektrum
Beim mehrtägigen Treffen aller parlamentarischen EU-Ausschüsse der Mitgliedstaaten sowie des Europäischen
Parlaments thematisierten die Abgeordneten nicht nur konkrete Herausforderungen wie den Klimawandel und die europäische
Energiepolitik, Migration und Sicherheit, die Heranführung des Westbalkans an die Europäischen Union
sowie das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich nach dessen Ausscheiden aus der EU. Erörtert wurden
auch Mittel und Wege, der wachsenden EU-Skepsis beizukommen, also die EU "bürgernäher" zu machen.
In den COSAC-Schlussdokumenten wird daher dem Subsidiaritätsprinzip viel Bedeutung beigemessen, sodass politische
Entscheidungen transparenter, effizienter und mit größerer öffentlicher Akzeptanz getroffen werden.
Entscheidend sei dabei die stärkere Zusammenarbeit von EU-Institutionen mit Legislativkörpern auf nationaler
und regionaler Ebene bzw. mit der Zivilgesellschaft, heißt es im Beitrag der Tagung. Erfreut zeigen sich
die Abgeordneten über das sogenannte "Grüne Karte"-Verfahren, durch das der nationale Gesetzgeber
der EU-Kommission konstruktive Vorschläge zur Unionspolitik oder zu Legislativvorschlägen unterbreiten
kann.
Hinsichtlich illegaler Migration bekennt sich die COSAC in ihrem Beitrag zu paneuropäischen Maßnahmen
für den Schutz der EU-Außengrenzen sowie für den Kampf gegen Menschenhandel und Schlepperei. Die
Union müsse verhindern, dass Flüchtlinge am Seeweg nach Europa umkommen. Wichtig sei auch, bestehende
Rückführungsabkommen mit Drittstaaten konsequenter umzusetzen und weitere solche Abkommen abzuschließen.
Geeint solle die EU auch im Kampf gegen Cybersicherheit auftreten, begrüßen die ParlamentarierInnen
entsprechende Vorschläge der Europäischen Kommission. Grundsätzlich wird die Digitalisierung aber
positiv gesehen, schon zur Steigerung von Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit in der Union. Vorangetrieben
werden sollten daher die Pläne für ein gerechtes Steuersystem und die Aktualisierung der EU-Datenschutzregelungen
im digitalen Binnenmarkt.
Für verstärkte Reformprozesse in den Ländern des Westbalkans sprechen sich die COSAC-Mitglieder
überdies aus, wobei die EU im Sinne einer guten Nachbarschaft den südosteuropäischen Staaten eine
klare EU-Beitrittsperspektive zu geben und finanzielle Unterstützung zu leisten habe. Grundvoraussetzung sei
allerdings neben der Weiterentwicklung von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Wirtschaft die Lösung
bilateraler Streitigkeiten am Westbalkan.
Namens der EU bekräftigen die Europaausschüsse weiters das Bestreben, auf Basis des UN-Klimaabkommens
von Paris die nötigen Schritte gegen die drastische Erderwärmung zu setzen. Weitere Maßnahmen zur
Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf möglichst 1,5°C seien jedoch erforderlich. Gehofft wird,
dass bei der nächsten Klimakonferenz diesen Dezember in Polen Vereinbarungen zur konkreten Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen
getroffen werden. Alle Anstrengungen hin zu einer sauberen und nachhaltigen Energieversorgung im Rahmen eines Binnenmarkts
für Strom und verbesserte Risikovorsorge unterstütze man vor diesem Hintergrund, auch um die EU unabhängiger
von Energieimporten zu machen.
Zum anvisierten Austritt des Vereinigten Königreichs (UK) aus der EU, dem Brexit, heißt es in den Schlussdokumenten
der COSAC, man wolle gerade auf parlamentarischer Ebene jedenfalls die enge Zusammenarbeit mit dem UK erhalten.
Dennoch betont die Parlamentarierversammlung, dass die Einheit des Binnenmarktes und die Rechtsprechungskompetenz
des Gerichtshofes der Europäischen Union in Bezug auf die Prinzipien des Binnenmarktes bewahrt werden müssen.
Gleichermaßen zu erhalten sei das 1998 unterzeichnete Karfreitagsabkommen zur Beendigung des Nordirlandkonflikts,
ungeachtet des Verhandlungsergebnisses zwischen den Briten und der EU, drückt die COSAC ihre Solidarität
mit der Republik Irland aus.
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Die Europawahlen im Mai 2019 werfen ihre Schatten voraus. Bei der COSAC-Konferenz am 21. November ging
es um mehr Bürgernähe und Transparenz in der EU-Politik, nicht zuletzt damit eine möglichst hohe
Beteiligung bei den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament erreicht wird. Im Anschluss an Statements
von Justizminister Josef Moser und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Mairead McGuinness ging
es in einer Debatte unter anderem darum, wie die Kluft zwischen EU-Gremien und den Bürgerinnen und Bürgern
überbrückt werden könne.
Moser: Funktionierende EU ist nur gemeinsam zu schaffen
Justizminister Josef Moser betonte in seinem Einleitungsstatement das gegenseitige Vertrauen, auf dem eine bürgernahe,
transparente Europäische Union aufgebaut sei. Es sei Voraussetzung für die gemeinsamen Werte gemäß
Artikel 2 des EU-Vertrags, sowie die Basis für eine EU der Freiheit, Sicherheit und Rechtstaatlichkeit. Leider
habe das gegenseitige Vertrauen innerhalb der EU in den letzten Jahren gelitten, etwa durch das Nichteinhalten
der Dublin-Regelungen im Jahr 2015, durch Verstöße gegen Grundsätze der Rechtstaatlichkeit einzelner
Mitgliedstaaten oder durch EU-Überregulierungen, die für Unverständnis bei den BürgerInnen
gesorgt haben. Daher brauche es einen Kurswechsel, um das Vertrauen in Europa wieder zu stärken, sagte Moser.
Mit dem Schwerpunkt des österreichischen EU-Ratsvorsitzes "Ein Europa, das schützt", wolle
man das erreichen, indem man das Thema Sicherheit in den Mittelpunkt rücke. Auch die Sicherung des Wohlstands
und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Digitalisierung sowie Stabilität in der Nachbarschaft
mit dem Schwerpunkt Westbalkan sind Aspekte, die man verständlich und klar den BürgerInnen kommunizieren
möchte.
Insbesondere der Justizbereich zeige, wie wichtig ein funktionierendes Europa sei, denn die Erwartungen könne
man nur im Zusammenwirken mit den anderen Mitgliedstaaten erwirken, so Moser. Mehr als 30 Dossiers werden während
des österreichischen Vorsitzes im Rat der Europäischen Union bearbeitet, ein Kernthema ist die Bekämpfung
von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Es zeige besonders deutlich, wie wichtig die Zusammenarbeit
zwischen den Staaten und den Strafverfolgungsbehörden ist, da Terror vor den Staatsgrenzen nicht halt mache.
Mit der Richtlinie zur strafrechtlichen Bekämpfung von Geldwäsche habe man außerdem einen wichtigen
Schritt gesetzt, sodass Kriminelle künftig nicht mehr Unterschiede in verschiedenen Mitgliedstaaten zu ihrem
Vorteil nutzen können. Bei der Strafverfolgung dürfe es keine Lücken geben, daher liege ein weiterer
Schwerpunkt beim Project "ECRIS-TCN", einem Instrument zur Identifizierung von Straftätern aus Drittstaaten
und ohne Staatszugehörigkeit, erklärte Moser. Auch im Bereich "E-Evidence" werde mit Hochdruck
gearbeitet, um grenzüberschreitende elektronische Beweismittel erlangen zu können. Er ersuchte die anwesenden
Abgeordneten diesbezüglich um Unterstützung, sodass die EU-Kommission in diesem Bereich schneller tätig
werden kann.
Rechtsstaatliche Mindeststandards
Handlungsbedarf sieht der Justizminister im Bereich Rechtssicherheit. Ziel sei es, rechtsstaatliche Standards in
den Fokus zu rücken, um das Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander zu stärken. "Welche Verantwortung
trifft den Justizbereich? Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die europäischen Instrumente der gegenseitigen
Anerkennung ihre volle Wirkung entfalten können. Dafür sind einheitliche, rechtsstaatliche und menschenrechtliche
Mindeststandards notwendig", sagte Moser. Erst dann könne man Rahmenbeschlüsse umsetzen, was er
beispielhaft ausführte. Kürzlich habe die Rechtsprechung etwa die Haftbedingungen in Rumänien, Griechenland,
Ungarn und Bulgarien kritisiert, weil sie nicht mit der der Grundrechtecharta in Einklang stehen würden. Damit
die Verfolgung von Straftätern wieder europaweit reibungslos funktioniert, sei es notwendig, rechtsstaatliche
Standards europaweit zu gewährleisten. Nicht nur die europäische Kommission, auch die Mitgliedstaaten
untereinander sollten nach Ansicht Mosers rasch Lösungen finden. Im Hinblick auf den Westbalkan-Schwerpunkt
merkte er an, dass sich alle Staaten am westlichen Balkan intensiv bemühen würden, Reformen im Justizbereich
auf den Weg zu bringen. Hier wäre man am richtigen Weg, sich der EU anzunähern und das Vertrauen der
BürgerInnen zu erhöhen.
"Nur gemeinsam schaffen wir Vertrauen, Bürgernähe und eine verständliche, funktionierende Europäische
Union" sagte Moser zum Thema Subsidiarität. Es brauche zwar mehr Handlungseffizienz, Handeln auf EU-Ebene
dürfe kein Selbstzweck sein, sondern sei nur dort erforderlich, wo Ziele besser als auf nationalstaatlicher
Ebene verwirklicht werden können. In diesem Sinne unterstützt Justizminister Moser die Strategie von
EU-Kommissionspräsident Juncker, wonach künftig weniger, aber effizienter gehandelt werden sollte.
McGuinness: Vertrauen in die EU muss gestärkt werden
Mairead McGuinness, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, unterstrich die Bedeutung des gegenseitigen
Vertrauens zwischen EU und BürgerInnen. Das allgemeine Vertrauen in die Politik stehe auf dem Spiel, die gegenwärtige
Wahrnehmung des Politiker-Berufs sei problematisch. Eine Lösung sieht McGuinness im Thema Transparenz. Was
den Zugang zu Informationen betreffe, sei die EU durchaus Vorreiter. Transparenz sei aber auch ein Schüsselthema
für nationale Parlamente und müsse auch auf nationaler Ebene weitergetragen werden. Die nationalen Regierungen
sollten mehr Informationen weitergeben, die BürgerInnen sollten im Gegenzug Rechenschaftspflicht einfordern.
McGuinness betonte, dass Transparenz nicht alle Fragen beantworten könne, daher sei das Subsidiaritätsprinzip
wichtig. Als Beispiel nannte sie eine EU-Verordnung bezüglich einheitlicher Standards bei medizinischen Geräten.
Da das Thema Lebensqualität alle Menschen in den Mitgliedstaaten gleichermaßen betreffe, musste die
EU hier stärker eingreifen. Die Reform der Landwirtschaftspolitik nannte McGuinness als weiteres Beispiel
für Subsidiarität. Die Mitgliedstaaten würden hier nun mehr Kontrolle für die Umsetzung der
Landwirtschaftspolitik bekommen. Da einige Landwirte diese Kontrolle aber gar nicht wahrnehmen wollen, sollte man
überlegen, ob auch hier die EU-Kommission eine Kontrollfunktion einnehmen sollte, meinte McGuinness.
In verschiedenen Politikbereichen gebe es unterschiedliche Niveaus bei der Entscheidungsfindung, sagte die Vizepräsidentin
des EU-Parlaments. Das zeige sich am Wahlverhalten – bei nationalen Wahlen sei die Wahlbeteiligung größer
als bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Die langfristigen EU-Ziele scheinen auf den ersten Blick weniger
greifbar für die Bevölkerung. Es dauere zu verstehen, dass es bei diesen langfristigen Zielen, etwa im
Bereich Wasser- oder Luftqualität, um Essenzielles geht. Würde man diese Themenbereiche Nationalstaaten
überlassen, gebe es keine Maßstäbe. Daher müsse man diskutieren, wo Subsidiarität angemessen
sei, und wo nicht. "Dazu müssen wir Abgeordnete uns selbst in die Pflicht nehmen und uns bereits am Anfang
des politischen Zyklus mit Themen beschäftigen und Gesetzesvorschläge nicht lange liegen lassen",
forderte McGuinness. Die COSAC bezeichnete sie in diesem Zusammenhang als wichtige Plattform, um Meinungen zur
EU-Rechtsprechung zwischen Abgeordneten verschiedener nationaler Parlamente auszutauschen.
EU-Parlamentswahl: Aus Brexit lernen
Den Brexit bedauert die Irin, allerdings könne man auch etwas Positives an den Folgen des Referendums erkennen.
BürgerInnen würden mehr über EU-Themen diskutieren und nun wissen, was etwa die Zollunion, der Binnenmarkt,
oder die Freizügigkeit bedeute. Man sollte sich zurückerinnern, was die Gründer der EU wollten –
nämlich eine Union, in der verschiedene Kulturen mit verschiedenen Meinungen zusammenarbeiten können.
Aufgrund des Brexit hätten die BürgerInnen nun verstanden, was passiert, wenn die Gemeinschaft aufgelöst
würde. "Nichts dauert ewig, wenn wir nicht zusammenarbeiten" sagte McGuinness in Hinblick auf die
bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019. Daher müsse man die Möglichkeit nutzen,
um über die EU zu sprechen und Menschen ermutigen, zur Wahl zu gehen. Auch wenn nicht alle die EU stärken
wollen, sei man sich einig, dass die Europäische Union einen Mehrwert bringe, außerdem wollen die BürgerInnen
die Komplexität der Politik verstehen. Bei Fragen zum Thema Rechtsstaatlichkeit oder Klima erwarten sich BürgerInnen
Antworten, die vielleicht nicht auf nationaler Ebene zu klären sind.
Im EU-Parlament würde es vorkommen, dass rechtes und linkes Lager gemeinsam abstimmen, weil größere
Dinge am Spiel stehen würden. Da viele Politiker direkt gewählt würden, sollten sie auch mutig genug
sein, um zu ihrer Verantwortung zu stehen, meinte McGuinness. Daher appellierte sie an die Abgeordneten, ihre WählerInnen
aufzufordern, zur Wahl zu gehen und die EU-Wahlen so wichtig zu machen wie nationale Wahlen. Insbesondere der Kontakt
mit jungen Menschen sei von Bedeutung, vor allem sie sollten ermutigt werden, die Komplexität der Welt und
der Europäischen Union in einer Zeit des endlosen Zugangs zu Informationen zu verstehen. "Nicht nur die
EU-Institutionen selbst sollten gestärkt werden, sondern auch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger
für diese Institutionen", sagte sie. Ihren Zugang zur EU erläuterte sie anhand eines Vergleichs:
Habe man etwa eine Autopanne, so setze man Vertrauen in den Mechaniker, dass er das Funktionieren des Motors sicherstelle.
In ähnlicher Weise sollte auch die EU wirken. Man sollte darauf vertrauen können, "dass die EU nicht
in unser Leben eingreift, sondern für uns arbeitet", so die Vizepräsidentin des Europäischen
Parlaments.
Othmar Karas: "Wir sollten Botschafter der EU sein!"
Die anschließende Diskussion dominierten die Themen Transparenz, Bürgernähe, die EU als "Sündenbock"
und wie die EU für die Bürgerinnen und Bürger wieder greifbarer gemacht werden kann – vor dem Hintergrund
der bevorstehenden EU-Wahl im Mai nächsten Jahres. Der österreichische Abgeordnete im Europäischen
Parlament Othmar Karas richtete einen dringenden Appell an die Delegierten: "Bei den Europawahlen werden mehr
Menschen wahlberechtigt sein als in den USA leben. Die Wahl entscheidet nicht nur die Zusammensetzung im Europaparlament,
sie entscheidet auch die Zusammensetzung der Europäischen Kommission und letztlich wer Kommissionspräsident
wird. Wir alle hier im Raum sollten Botschafter der EU sein!" Karas betonte, es gebe gute Argumente, die für
die Europäische Union sprechen, etwa dass über 90 Prozent des EU-Budgets direkt in die Gemeinden fließen.
Was die Subsidiarität der EU betrifft, hob Karas hervor, dass es "kein subsidiäreres Gremium als
die EU" gebe. Alles, was auf EU-Ebene beschlossen werde, müsse in irgendeiner Weise auf nationaler Ebene
mitgetragen werden, sei es durch den Rat oder durch Ausführungsgesetze. Ein Vertreter aus Deutschland betonte,
die Subsidiarität ermögliche Vielfalt in der EU, eine starke Transparenz sei die Grundlage für empfundene
Bürgernähe.
Belege für den Nutzen der EU vorlegen
Das sahen nicht alle Delegierten so. Ein Abgeordneter aus Estland forderte, dass viel weniger auf EU-Ebene abgehandelt
werden sollte. Die EU sei "viel zu weit entfernt von den Bürgerinnen und Bürgern". Diese Meinung
teilten einige der KonferenzteilnehmerInnen. Ihrer Ansicht nach sei dem nur beizukommen, indem die EU den Menschen
spürbarer vermittelt wird. Die Menschen sollten besser informiert werden, wie Entscheidungen auf EU-Ebene
ihren Alltag betreffen, verlangte etwa ein weiterer Vertreter aus Estland. Ein Delegierter aus Zypern sprach von
der Notwendigkeit, auf diese Weise "das Vertrauen in die EU wiederzubeleben". Ein französischer
Teilnehmer empfahl, den Bürgerinnen und Bürgern "Belege für den Nutzen von EU-Entscheidungen
vorzulegen". Aktivitäten sollten einem rumänischen Abgeordneten zufolge "sichtbarer gemacht
werden". "Fakten" seien gefragt, um das Vertrauen der Menschen zu erlangen, pflichtete ein maltesischer
Abgeordneter bei.
Die Forderung nach mehr Bürgernähe der EU zog sich durch fast alle Wortmeldungen. Ein serbischer Delegierter
sprach von "Inklusion als Grundwert". Dieses sei nur durch mehr Bürgerbeteiligung erreichbar. Wichtig
sei dabei, die BürgerInnen von Anfang an in Entscheidungen einzubeziehen. Das betonte nicht nur ein britischer
Delegierter, sondern auch Justizminister Josef Moser in seinem Schlussstatement, in dem er auf Wortmeldungen einging.
Oft mangle es den EU-BürgerInnen aber offenbar schon am Gefühl, dass ihnen zugehört wird. Ein Abgeordneter
aus Estland berichtete, die EU verfüge in seinem Land laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage
über 74 Prozent Zustimmung. Im Gegenzug behaupteten 76 Prozent der Befragten, dass ihnen nicht zugehört
werde, wenn es um Anliegen gehe, die von der EU zu bewältigen seien. Ein Abgeordneter aus Malta sagte, in
den 14 Jahren der Mitgliedschaft seines Landes habe sich vieles zum Positiven gewandelt, die Stimmung sei gut,
trotzdem wollten die BürgerInnen besser informiert werden. Ein italienischer Delegierter berichtete von einer
EU-feindlichen Stimmung in seinem Land. Die nationale Regierung hingegen erfahre hohen Zuspruch. Das liege zu einem
großen Teil an einem Mangel an Transparenz der EU. Die Niederlande unterstrichen einmal mehr ihre Transparenz-Initiative,
die sie gemeinsam mit Dänemark eingebracht haben. Sie erhielten Unterstützung von Irland und Ungarn.
Ein deutscher Delegierter betonte, mangelnde Transparenz sei der "Nährboden für Populismus".
Transparenz als Voraussetzung für Vertrauen
Das Vertrauen in die EU wurde in einigen Wortmeldungen an das Vertrauen in die Politik allgemein geknüpft.
Transparenz sei eine unabdingbare Voraussetzung für das Vertrauen der Menschen. Ein ungarischer Abgeordneter
sagte, die Migrationskrise habe in seinem Land das Vertrauen der Menschen in die EU "erschüttert".
Es sei nur reparierbar, wenn die Vorteile der EU im Alltag spürbarer gemacht würden und wenn den Menschen
das Gefühl vermittelt werde, dass sie "Teil eines großen Ganzen" seien.
Einfache Lösungen sind verführerisch
Andere KonferenzteilnehmerInnen betonten, Transparenz allein sei zu wenig, um die Menschen für die EU
zu gewinnen. Einige beklagten die niedrige Wahlbeteiligung – gerade wenn es um Wahlen zum Europäischen Parlament
geht. Die Wurzeln dafür wurden zu einem Teil EU-Skeptikern, Nationalisten und Populisten zugeschrieben. "Sie
haben einfache Lösungen und diese sind verführerisch", warnte ein Delegierter aus Slowenien. Die
EU müsse oft für alles herhalten, was nicht funktioniere – was funktioniere, würden sich die Regierungen
der Nationalstaaten zuschreiben. "Viele zeigen viel zu oft mit dem Finger nach Brüssel, wenn etwas nicht
klappt", erläuterte ein Abgeordneter aus Deutschland. Diese Sündenbock-Politik und die mangelnde
Nutzung der Beteiligung nationaler Parlamente an EU-Entscheidungen seien Fehler mit dramatischen Folgen wie einer
EU-Verdrossenheit und nationalen Tendenzen. Ein französischer Abgeordneter pflichtete dem bei und betonte,
nur ein Drittel der nationalen Parlamente nützten die Möglichkeit einer "begründeten Stellungnahme"
zu Rechtsakten aus der EU, im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung.
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