Überfall auf Polen: NR-Präsident Sobotka und ÖAW-Präsident Zeilinger luden
zu Diskussion – HistorikerInnen warfen Blick auf damalige Ereignisse und auf Entwicklung der Erinnerungskultur
Wien (pk) - Kein geringeres Thema als "80 Jahre Beginn des Zweiten Weltkriegs – Überfall auf Polen"
setzten am Abend des 2. September Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Anton Zeilinger, Präsident
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, mit einer Einladung zu einer Historikerdiskussion auf die
Agenda.
Der 1. September 1939 markiert mit dem Überfall auf Polen den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Der Wissensstand
über den Zweiten Weltkrieg und über den Vernichtungskrieg im Osten Europas war heute ebenso Thema der
Debatte wie die Frage, wie sich die Erinnerungskultur in einer Ära ohne ZeitzeugInnen verändert. Am Podium
im Festsaal der ÖAW diskutierten die HistorikerInnen Kerstin Susanne Jobst (Institut für Osteuropäische
Geschichte, Universität Wien), Dieter Pohl (Institut für Geschichte, Universität Klagenfurt) und
Wlodzimierz Borodziej (Institut für Geschichte des 20. Jahrhunderts, Universität Warschau).
Sobotka: Jeder Staat braucht klares Bekenntnis zu seiner Geschichte, um Zukunft nachhaltig gestalten zu können
"80 Jahre sind vergangen, dass das Deutsche Reich mit dem Überfall auf Polen einen in der Menschheitsgeschichte
ungekannten Vernichtungskrieg entfesselt hat", sagte Nationalratspräsident Sobotka in seinen einleitenden
Worten zum Tag. Getrieben von Größenwahn, Menschenverachtung und Rassismus, Aggression und Brutalität
wurde der Zweite Weltkrieg entfacht, in dessen Asche 65 Millionen Menschen begraben und 13 Millionen Menschen ermordet
wurden. Österreich trage eine Verantwortung, so Sobotka. Jeder Staat brauche ein klares Bekenntnis zu seiner
Geschichte, um Zukunft nachhaltig gestalten zu können, unterstrich der Nationalratspräsident. Es sei
wichtig zurückzusehen, wie es gewesen ist – um das Gedenken wach zu halten, aber auch zur Stärkung von
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
und der folgende Weg hin zur Europäischen Union ist für Sobotka eine starke politische Antwort nach 1945,
hin zu einem neuen Europa. Es gelte für diesen Weg, darauf zu achten, dass Chauvinismus, Rassismus und aufkeimender
Antisemitismus die Friedensunion nicht wieder in Gefahr bringen können. "Niemand kann sich aus Europa
verabschieden – kein Staat", unterstrich der Nationalratspräsident.
Zeilinger: Wissen um die damaligen Ereignisse darf nicht verloren gehen
ÖAW-Präsident Anton Zeilinger dankte in seiner Begrüßung dem Nationalratspräsidenten
für die Anregung zu dieser Veranstaltung. Sobotka ist auch Vorsitzender des Senats der Akademie der Wissenschaften.
Im Publikum begrüßte Zeilinger unter den zahlreichen Gästen auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein,
ebenfalls Mitglied im ÖAW-Senat.
Die heutige Veranstaltung gelte dem Gedenken des Beginns der größten militärischen Auseinandersetzung
der Weltgeschichte, die zum größten geplanten Massenmord der Geschichte geführt hat, so Zeilinger.
Auch für Polen stellte das Jahr 1939 eine gewaltige Tragödie dar. Das Land habe aber auch Vorbildwirkung,
was geleisteten Widerstand betrifft, so der ÖAW-Präsident, auch wenn das in Österreich viel zu wenig
bekannt sei. Insgesamt gilt es aus seiner Sicht, daran zu arbeiten, dass das Wissen um die damaligen Ereignisse
nicht verloren geht. Zeilinger sieht es auch als Aufgabe der Akademie der Wissenschaften, zu dessen weiterer Verarbeitung
beizutragen.
Im Zuge der anschließenden Podiumsdiskussion erörterten die drei HistorikerInnen neben der Situation
der Erinnerungskultur und –forschung auch deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und entsprechende Vermittlungsstrategien.
Aus der Sicht von Wlodzimierz Borodziej vom Institut für Geschichte des 20. Jahrhunderts der Universität
Warschau etwa spielt die Darstellung der historischen Ereignisse in der Kunst – hauptsächlich in Film und
Romanen – eine vergleichsweise große Rolle. Vor allem im Hinblick auf die neuen Medien wäre auch aus
Sicht von Dieter Pohl, Institut für Geschichte der Universität Klagenfurt, zu analysieren, was Erinnerungskultur
im 21. Jahrhundert bedeutet, um neue Zugänge dazu in der Gesellschaft zu schaffen.
Kerstin Susanne Jobst vom Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, die auch
die Moderation übernahm, sieht unter anderem eine Art "Willensverbesserung" nach 1945. Die Welt
sei zwar nicht gewaltärmer geworden, es habe aber zumindest eine "Verrechtlichung des Krieges" stattgefunden.
Nationalratspräsident Sobotka hielt sich am Vortag bereits zu
einem offiziellen Besuch in Warschau auf, um am Gedenkakt anlässlich des Beginns des Zweiten Weltkriegs
vor 80 Jahren teilzunehmen.
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