Glawischnig: Warum Sie das FP-Temelin-Volksbegehren nicht unterschreiben sollten
Wien (grüne) - Alles was man über das tschechische AKW wissen muss. Vom Stichwort "Melker
Prozess" über Lösungsvorschläge der Grünen bis zum kontraproduktiven FPÖ-Volksbegehren.
Von Eva Glawischnig, Oliver Korschil, Jänner 2002
Veto-Volksbegehren der FPÖ
Eintragungswoche für das Volksbegehren ist der 14. Bis 21. Jänner 2002. Unterschreiben mehr als
100.000 Menschen, so muss der Inhalt des Volksbegehrens im Nationalrat behandelt werden. Beschlüsse allfälliger
Maßnahmen bedürfen einer einfachen Mehrheit. Dass der Text des Volksbegehrens (s.u.) eins zu eins vom
Nationalrat beschlossen wird, ist unwahrscheinlich. Denn dann müsste ein Verfassungsgesetz beschlossen werden,
dafür braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Selbst wenn also die ÖVP zustimmen würde, was sie als
Europapartei nie tun würde, wären noch die Stimmen der SPÖ nötig, die dies bereits im Vorfeld
klar abgelehnt hat. Das Volksbegehren hat also Null Chancen auf Umsetzung. Beschlossen werden maximal eine Reihe
politischer Maßnahmen, die dann von der Bundesregierung wie üblich ignoriert werden.
Text des Volksbegehrens im Wortlaut:
"Durch Bundesverfassungsgesetz ist folgendes sicherzustellen: Die bundesverfassungsmäßig
zuständigen Organe werden ermächtigt den Staatsvertrag über den Beitritt Tschechiens zur Europäischen
Union abzuschließen, sobald eine völkerrechtlich bindende Erklärung der Republik Tschechien vorliegt,
das AKW Temelin auf Dauer stillzulegen, und diese Stillegung auch tatsächlich erfolgt ist."
Veto gegen Tschechien
Der Inhalt des Volksbegehrens ist eine klare Veto-Drohung gegen den EU-Beitritt Tschechiens, sollte Temelin
nicht stillgelegt werden. Diese dem Volksbegehren zugrundeliegende Strategie ist in mehrfacher Hinsicht kontraproduktiv:
- In Tschechien finden im Mai 2002 Wahlen statt, die politischen Parteien befinden sich ab Jahresanfang im Wahlkampf.
Je stärker mit dem Beitritts-Veto gedroht wird, desto mehr entsteht in Tschechien in der ohnedies aufgeheizten
Wahlkampf-Atmosphäre eine Jetzt-Erst-Recht-Stimmung und umso mehr werden Temelin-Hardliner wie Vaclav Klaus,
der einen massiv EU-kritischen Wahlkampf führt, gestärkt. Gewinnt Klaus, sinken die Chancen gegen Temelin
dramatisch.
- Ein Veto macht Temelin nicht sicherer, im Gegenteil, wenn Tschechien nicht der EU beitritt, wird Temelin völlig
unbeinflußbar, Sicherheitsauflagen können von der EU nicht eingeklagt werden, eine Stillegung rückt
in weite Ferne.
- Ein Vetokurs gegenüber Tschechien würde Österreich außenpolitisch völlig isolieren
und wäre nicht lange durchhaltbar. Der Druck der EU auf Österreich würde in anderen EU-Materien
groß werden und Nachteile für Österreich bringen.
- Der innerösterreichischen Temelin-Widerstand wird durch das Volksbegehren in zwei Lager gespalten und
verliert dadurch an Kraft. Die meisten Anti-Atom-Initiativen und Umweltorganisationen lehnen das Volksbegehren
ab.
- Ein Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union könnte den wirtschaftlichen Druck auf den Temelin
Betreiber erhöhen. Denn Tschechien "schwimmt" bereits jetzt im Strom. Durch die Fertigstellung des
AKW Temelin würde die derzeit bestehende Überkapazität auf ca. 58% des inländischen Nettoverbrauches
anwachsen.
- Die CEZ steht zudem unter dem dringenden Verdacht, Temelin-Strom zu Dumping-Preisen nach Westeuropa zu exportieren.
Die Exporte werden durch Quersubventionierung vom tschechischen Stromkunden finanziert. Im EU-Strommarkt sind Beihilfen
nicht erlaubt, gegen Quersubventionierungen und sonstige Wettbewerbsverletzungen stehen den Mitbewerbern rechtliche
Möglichkeiten offen.
- Unter den heutigen Bedingungen würde ein EU-Beitritt den wirtschaftlichen Druck auf den Temelin-Betreiber
noch weiter erhöhen. Die geplante Privatisierung enthält weitere Ansatzpunkte für Beschwerden nach
dem EU-Wettbewerbsrecht.
- Das VB ist parteipolitisch motiviert. Um die EU-Erweiterung zu verhindern, ist der FPÖ jedes Mittel recht.
- Das Volksbegehren ist aber auch ein Ventil für die berechtigten Ängste der österreichischen
Bevölkerung. Auch wenn die Grünen das VB aus oben genannten Gründen ablehnen, werden die Grünen
deshalb trotzdem jede Stimme ernst nehmen und bei der parlamentarischen Behandlung des VB dafür kämpfen,
dass die momentan miserable Anti-Atom-Politik der Bundesregierung umfassend erneuert wird. Der Europäische
Atomausstieg muss dabei das oberste Ziel sein.
|
Rückblick
Der Bau Der Bau des südböhmischen Atomkraftwerks Temelin begann in der damaligen CSSR im Jahr
1983. Ursprünglich waren vier Reaktoren der sowjetischen Typs WWER-1000 geplant, doch nach der "samtenen
Revolution" von 1989 wurden die Arbeiten an den Blöcken 3 und 4 eingestellt. Kurz dachte man über
ein generelles Aus von Temelin nach, bis die tschechische Regierung im März 1993 die Fertigstellung von Reaktor
1 und 2 beschloss. Die damalige US-Firma Westinghouse bekam den Zuschlag, die Steuerungselektronik des Kraftwerks
und den nuklearen Brennstoff zu liefern. Die dafür notwendige Kreditgarantie in der Höhe von 317 Millionen
Dollar übernahm die US-Regierungsbank ExIm. Seither wird versucht, das Atomkraftwerk mit westlicher Technik
aufzurüsten.
Das Schweigen der Österreichischen Regierungen
Am 19. Mai 1999 beschloss der tschechische Ministerrat mit denkbar knapper Mehrheit (11 Stimmen dafür
- 8 Stimmen dagegen) die Fertigstellung Temelins. Die damalige österreichische Bundesregierung unter Bundeskanzler
Klima hat es in dieser entscheidenden Phase verabsäumt, Tschechien durch entsprechende Verhandlungsoffensiven
und Ausstiegsangebote zum Umdenken zu bewegen. Die schwarz-blaue Bundesregierung hat nach Amtsantritt erst einmal
monatelang zu Temelin geschwiegen. Erst als Block 1 des AKW im Juli 2001 bereits mit Brennstäben beladen wurde,
begann Bundeskanzler Schüssel zögerlich auf den öffentlichen Druck zu reagieren.
Anstatt mit Tschechien allerdings konsequent über eine Nicht-Inbetriebnahme zu verhandeln und ein entsprechendes
finanzielles Ausstiegsangebot zu unterbreiten, begannen Bundeskanzler Schüssel und Umweltminister Molterer
im Rahmen des so genannten "Melker Prozesses" im Dezember 2000 mit Tschechien über Fragen der Umweltverträglich
und Sicherheit zu verhandeln. Knapp ein Jahr später, am 29.11.2001, schloss Schüssel mit dem tschechischen
Premier Milos Zeman das Abkommen von Brüssel, das von der Bundesregierung als Verhandlungsdurchbruch und großer
Erfolg verkauft wurde, obwohl eigentlich nichts erreicht wurde (s.u. Melker Prozess)
Doppelbödiges Spiel der FPÖ
Im Gegensatz zur ÖVP, die mittlerweile öffentlich erklärt hat, dass nicht mehr eine Stillegung
sondern nur mehr die Nachrüstung der Sicherheitsmängel das Ziel ihrer Politik ist, betriebt die FPÖ
bei Temelin ein doppelbödiges Spiel. Einerseits stimmt sie dem Abschluss des Energiekapitels bei den EU-Beitrittsverhandlungen
mit Tschechien zu und signalisiert damit, dass es in Energiefragen keine offenen Verhandlungspunkte mehr mit Tschechien
gäbe; andererseits lanciert sie ein Volksbegehren, um ebendiese Einigung in Frage zu stellen. Da ein Volksbegehren
ein direktdemokratisches Instrument ist, um die Diskussion und Behandlung eines bestimmten Gesetzestext auf die
Tagesordnung des Nationalrat zu setzen, ist es vom Prinzip her widersinnig, dass eine Parlamentspartei zu diesem
Mittel greift. Die FPÖ könnte ja jederzeit ihre Vorstellungen zu einem Veto gegen Tschechien auf die
Tagesordnung des Nationalrates setzen lassen. Sie könnte auch ganz einfach als Regierungspartei eine wirklich
antinukleare Regierungspolitik durchsetzen. Stattdessen gibt sie in der Regierung ihr Okay zu Temelin und versucht
der Öffentlichkeit genau das Gegenteil weiszumachen.
Grüne Lösungsvorschläge zu Temelin und Atom
Nach dem vorläufigen Abschluss des Energiekapitels hat Österreich im Beitrittsprozess keinen
Verhandlungsspielraum mehr. Was bleibt ist das Monitoring der äußerst schwachen Sicherheitsvereinbarung
von Brüssel (s. Kapitel "Fallbeispiel Temelin"). Entwickelt die Bundesregierung keine neuen Strategien,
so wird Temelin in den Vollbetrieb gehen, ohne den für eine Neugenehmigung innerhalb der EU üblichen
Standards zu entsprechen. Neben einer umfassenden Initiative der Bundesregierung für einen gesamteuropäischen
Atomausstieg (s. Kapitel "Österreich als Vorreiter für einen europaweiten Ausstieg") sollte
auch bei Temelin ein neuerlicher Anlauf für eine Nicht-Inbetriebnahme gestartet werden.
Umdenken in Prag nach Regierungswechsel?
Im Mai 2002 wird in Tschechien gewählt. Eine neue Regierung könnte bei entsprechenden Angeboten vielleicht
doch noch zum Umdenken zu bewegen sein. Ein von der Bundesregierung geschnürtes Ausstiegs-Paket für Tschechien
könnte dabei als Basis für seriöse Ausstiegsverhandlungen dienen. Neben einer direkten Ausstiegshilfe,
an der suich auch die EU-Kommission und andere Mitgliedsländer beteiligen sollten, soll ein Temelin-Ausstiegsfonds
eingerichtet werden, der durch zinsgünstige Kredite die Umsetzung eines großen Energie- und Umweltprogrammes
in Tschechien fördert. Durch dieses Ausstiegspaket würde auch die österreichische Wirtschaft enorm
profitieren. Positive Umwelteffekte für Österreich (z.B. im Bereich der Luftschadstoffe) wären ein
weiteres Ergebnis. Nicht zuletzt bringt der Vorschlag auch große Vorteile für Tschechien, das einen
hohen Investitionsbedarf zur Erreichung der EU-Standards im Umweltbereich aufweist etwa in den bereichen Abwasserbehandlung
oder Luftreinhaltung.
Darüberhinaus soll sich Österreich auf EU-Ebene als "Türöffner" für Tschechien
starkmachen, beispielsweise in der Frage einer möglichen Abschreibung Temelins als "stranded investment"
nach einem EU-Beitritt. Ein Ausstieg aus dem Temelin-Projekt wäre nämlich sogar zum jetzigen sehr späten
Zeitpunkt abseits von Sicherheitsüberlegung auch die wirtschaftlich günstigste Variante. Zu diesem Ergebnis
kommt auch die Energieverwertungsagentur, die diese Frage für die offizielle Stellungnahme Österreichs
zum laufenden UVP-Prozeß durchgerechnet hat.
Temelin im EU-Strommarkt - Neue Chancen auf Stillegung?
Ein Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union könnte den wirtschaftlichen Druck auf den Temelin Betreiber
erhöhen. Denn Tschechien "schwimmt" bereits jetzt im Strom. Durch die Fertigstellung des AKW Temelin
würde die derzeit bestehende Überkapazität auf ca. 58% des inländischen Nettoverbrauches anwachsen.
Die CEZ steht zudem unter dem dringenden Verdacht, Temelin-Strom zu Dumping-Preisen nach Westeuropa zu exportieren.
Die Exporte werden durch Quersubventionierung vom tschechischen Stromkunden finanziert. Im EU-Strommarkt sind Beihilfen
nicht erlaubt, gegen Quersubventionierungen und sonstige Wettbewerbsverletzungen stehen den Mitbewerbern rechtliche
Möglichkeiten offen. Unter den heutigen Bedingungen würde ein EU-Beitritt den wirtschaftlichen Druck
auf den Temelin-Betreiber noch weiter erhöhen. Die geplante Privatisierung enthält weitere Ansatzpunkte
für Beschwerden nach dem EU-Wettbewerbsrecht.
Österreich als Vorreiter für einen europaweiten Ausstieg
In zahlreichen Beschlüssen von National- und Ministerrat hat sich Österreich dazu bekannt, beim
europäischen Atomausstieg eine Vorreiterrolle zu spielen. Eine konsequente österreichische Politik sollte
sich dabei an folgenden Schwerpunkten orientieren:
Sicherheitsstandards als Ausstiegsinstrument Ziel soll der gesamteuropäische Atomausstieg innerhalb der kommenden
zehn Jahre sein. Sicherheitsstandards sollen dabei als Kriterien dienen, um verbindliche Abschaltefristen für
europäische AKW festzuschreiben. Die Sicherheitsstandards sollen unter Einbeziehung der atomfreien EU-Staaten
und insbesondere unter Beteiligung von Experten aus NGOs in transparenter Art und Weise diskutiert und entwickelt
werden. Die von der IAEO und der WENRA bisher veröffentlichten Standards werden in diesem Zusammenhang als
unzureichend angesehen. Die Sicherheitsstandards sollen sich am höchsten Stand der Technik in der EU orientieren.
(s.u. Sicherheitsstandards können auch gefährlich sein)
Auflösung des EURATOM-Vertrages
Ein eigenes Kapitel Energie soll im EU-Vertrag verankert werden und die massive Subventionierung der EU-Atomindustrie
damit beendet werden. Stattdessen soll die EU verstärkt auf die Förderung erneuerbarer Energieträger
setzen. Ein diesbezüglicher Beschluss soll vom Bundeskanzler für die EU-Regierungskonferenz 2004 vorbereitet
werden.
Europäischer Ausstiegsfond
Finanzielle Ressourcen, die auf europäischer Ebene zur Förderung der Atomenergie zur Verfügung
stehen (z.B.: EURATOM-Forschungsprogramm, EURATOM-Kredite etc.) sollen in einen europäischen Ausstiegsfonds
umgeleitet werden, der einerseits zur Modernisierung der Energiesysteme (Energieeffizienz, Erneuerbare Energieträger),
andererseits in Form von Zuschüssen für die Stillegung von AKW eingesetzt werden soll. Vordringlich sollte
dabei ein Ausstiegsangebot für das AKW Temelin sein.
Rasche Stillegung der Hochrisikoreaktoren
Die Bundesregierung muss auf europäischer Ebene für eine Vorverlegung der derzeit vereinbarten
Schließungsdaten für Bohunice, Kosloduj und Ignalina eintreten.
Koalition atomkraftfreier Staaten
Um diese Ziele zu erreichen, müsste sich die österreichische Regierung endlich um Bündnispartner
unter den anderen nicht-nuklearen EU-Staaten bemühen und eine koordinierte Vorgangsweise vereinbaren.
FPÖ-Atom-Politik
Ende der 70er und Anfang der 80er-Jahre betrieb die FPÖ noch eine konsequente Anti-Atom-Politik und
verhinderte z.B. nach der Zwentendorf-Volksabstimmung die versuchte Wiederbelebung des einzigen österreichischen
AKWs . Diese Konsequenz ist inzwischen blanken Populismus und einer besonderen Doppelbödigkeit gewichen: So
trägt die FPÖ als Regierungspartei jedes Versagen der österreichischen Bundesregierung in der Anti-Atom-Politik
mit, versucht aber trotzdem so zu tun, als wäre sie eine antinukleare Oppositionspartei. |