Wissenschaft in Europa
der Woche vom 30. 07. bis 05. 08. 2002

   
Menschliche Ersatzteile aus Titan
Bremen (alphagalileo) - Herzklappen aus Zellen des Patienten zu züchten, wäre ein großer Fortschritt. Bis es so weit ist, müssen andere Methoden und Materialien herhalten: körpereigenes Gewebe, umgeformte Herzklappen von menschlichen Spendern oder Schweinen. Künstliche aus Metallen und Polymeren besitzen den Vorteil, länger zu halten als natürliche. Leider verstärken sie die Blutgerinnung, neigen zu Korrosion und werden leichter von möglicherweise gefährlichen Bakterien besiedelt.
Gleiches gilt für den Ring, der mit dem Herz vernäht ist und der die Klappe trägt und lagert. Diese Teile besitzen einen Durchmesser von rund zwei Zentimetern und werden derzeit vorwiegend aus pyrolytischem Kohlenstoff gefertigt. Dieses leichte, graphitähnliche Material wird durch thermische Zersetzung kohlenstoffhaltiger Verbindungen erzeugt und ist gut mit Blut und Gewebe verträglich. Es ist jedoch nicht sehr stabil und schwer zu bearbeiten. Dadurch können Ring und Klappen nur eingeschränkt an das Herz angepasst werden - der Fluss des Blutes wird behindert. Dieses Problem rief Wissenschaftler des Unternehmens Tricumed Medizintechnik auf den Plan. Sie entwickelten verbesserte Herzklappen mit dem zugehörigen Ring aus Titan, dessen Fertigung kooperierende Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Metallpulverspritzguss umsetzten.
Neben der Wahl der geeigneten Titanlegierung ist das Design des Rings entscheidend, wie Dr. Michael Wagener vom Bereich Endformnahe Fertigungstechnologien erläutert: »Unsere Techniken eröffnen die Möglichkeit, den Ring viel freier als bisher zu gestalten. Stromlinienförmig wie er ist, wird der Blutfluss kaum behindert und gefährliche Ablagerungen sind unwahrscheinlich.« Hinter der Fertigung eines solchen Teils steckt einiges Know-how: Nachdem die IFAM-Forscher nachgewiesen hatten, dass die Legierung im Spritzguss verarbeitbar ist, optimierten sie den Sinterprozess. Dabei mussten sie berücksichtigen, dass das Bauteil beim Verbacken des Metallpulvers schrumpft und sich verziehen kann. Ebenso planten sie zuvor ein, dass beim abschließenden Polieren des Rings Material verloren geht. Prototypen ihrer Ringe und Klappen untersuchten die Projektpartner hinsichtlich der mechanischen Eigenschaften. Know-how und optimierte Produktionsbedingungen übertrugen die IFAM-Ingenieure auf die Projektpartner, die nun Teile mit den gewünschten Eigenschaften fertigen.

 
UMTS und WLAN im Flugzeug
Forschungsgemeinschaft will Funkanbindung in der Kabine bis 2004 verwirklichen
Oberpfaffenhofen (pte) - Eine Gruppe aus Luftfahrtsunternehmen und Forschungsinstitutionen hat ein Projekt für die Nutzung von Mobiltelefonen und WLAN in Flugzeugen gestartet. Unter dem Projektnamen "Wireless Cabin" will die Gruppe herausfinden, wie Funknetze in der Flugzeugkabine über Satellit mit Telefonnetzen am Boden verbunden werden können, ohne die Flugzeugelektronik zu stören.
Der Forschungsgruppe gehören Airbus, Siemens, Ericsson, Inmarsat, der Kabinenbauer KID-Systems sowie die Universität Bradford und die Technologieunternehmen ESYS und TriaGnoSys an. Die Leitung liegt bei dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Die Forschungsgemeinschaft will eine umfassende Kommunikationsinfrastruktur in der Flugzeugkabine ermöglichen. Neben UMTS für Handys sind Bluetooth- und WLAN-Zugänge zum Internet geplant. Für die Übertragung zum Satellit soll ein Service Integrator die verschiedenen Datenströme der unterschiedlichen Funkdienste bündeln. Dazu will die Forschungsgemeinschaft ein Protokoll-Konzept entwickeln, das unter anderem eine dynamische Bandbreitenzuteilung für die unterschiedlichen Funkdienste ermöglicht. Das Projekt soll bis 2004 mit Hilfe eines speziell ausgerüsteten Airbus 340 zur Serienreife.

 
Verbesserte Diagnostik von Eierstock- und Gebärmutterkörperkrebs
Die B·R·A·H·M·S Aktiengesellschaft unterzeichnet einen Lizenzvertrag mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum.
München/Rehovot (alphagalileo) - Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums und des Kaplan Hospital in Rehovot, Israel, haben eine verbesserte Methode zur Diagnostik von Eierstock- und Gebärmutterkörperkrebs entwickelt. Die B·R·A·H·M·S Aktiengesellschaft unterzeichnete jetzt einen Lizenzvertrag mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der israelischen Firma MOR-Research Applications Ltd., um den Test für den klinischen Einsatz weiter zu entwickeln.
B·R·A·H·M·S ist ein europäisches Biotechnologie-Unternehmen mit Hauptsitz in Hennigsdorf bei Berlin. B·R·A·H·M·S erforscht, entwickelt und vermarktet weltweit diagnostische Tests, mit denen schwere Erkrankungen und Infektionen frühzeitig erkannt und der Therapieerfolg effizient überprüft werden kann.
In Deutschland erkranken jährlich etwa 8000 Frauen an Eierstockkrebs. Für diese Krebsart gibt es bisher keine eindeutige Diagnostik. Eierstockkrebs, der auch als „silent killer“ bezeichnet wird, verläuft über lange Zeit symptomfrei und wird deshalb oft nur durch Zufall entdeckt. Meistens handelt es sich zu diesem Zeitpunkt bereits um Tumoren, die in das umliegende Gewebe eingewandert sind und Tochtergeschwülste gebildet haben, so dass die Fünf-Jahres-Überlebensrate, je nach Stadium, nur noch 5 bis 30 Prozent beträgt. Auch wird mit den bisherigen Methoden (Ultraschall, Immunfärbung) oft erst bei einem operativen Eingriff erkannt, wie weit die Erkrankung des Gewebes fortgeschritten ist.
Professor Peter Altevogt, Abteilung Zelluläre Immunologie des Deutschen Krebsforschungszentrums, und die israelische Wissenschaftlerin Dr. Mina Fogel entwickelten ein neues Testverfahren. Dabei dient der spezifische Nachweis des Adhäsionsproteins L1 auf der Zelloberfläche zur Diagnose von Eierstocktumoren. Mit dieser Methode kann, nach einer kleinen Gewebeentnahme, einer Biopsie, bereits bei einem ersten Verdacht eindeutig gezeigt werden ob eine Krebserkrankung besteht oder ob es sich um eine gutartige Geschwulst handelt. Eine erhöhte Produktion des Proteins in löslicher Form kann außerdem im Blut und im Bauchwasser nachgewiesen werden. Da die Menge des Proteins L1 auf der Zelloberfläche mit fortschreitender Veränderung des Gewebes zunimmt, kann darüber hinaus eine genaue Einteilung zu unterschiedlichen Tumorstadien erfolgen. Dadurch wird eine gezieltere Therapie (operativer Eingriff oder Chemotherapie) möglich.
Die Methode des L1-Nachweises in Tumorgewebe ermöglicht auch eine bessere Diagnostik von Krebs im Gebärmutterkörper. Diese Tumoren sind meist resistent gegenüber Krebsmedikamenten und daher schwer zu behandeln. Altevogt und Fogel zeigten, dass der Nachweis des Proteins auf eine besonders aggressive Form des Gebärmutterkörperkrebs schließen lässt. Dadurch wird es möglich, eine schnelle Entscheidung über einen gezielten operativen Eingriff zu treffen.

 
335.000 Euro für Apfelsaft-Wirkung gegen Krebs
Jenaer Wissenschaftler starten Forschungsprojekt zu Darmkrebs
Jena (pte) - Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität in Jena wollen erforschen, ob Apfelsaft präventiv vor Krebsleiden schützen kann. Das Team um die Projektleiterin Beatrice Pool-Zobel untersucht, "ob und auf welche Weise bestimmte Ballaststoffe und andere Bestandteile des Apfelsafts Dickdarmkrebs verhindern können." Das Deutsche Bundesforschungsministerium unterstützt das Drei-Jahres-Vorhaben mit 335.000 Euro.
Die Jenaer Forscher wollen die Entgiftungsprozesse in Dickdarmzellen im Detail aufklären. Bevor jedoch daraus mögliche Diätvorschriften zur Krebsvorbeugung erarbeitet werden können, sei es noch ein weiter Weg. Zu Beginn arbeiten die Forscher im Labor mit naturtrübem Apfelsaft und Gewebeproben, die mit Einverständnis der Patienten bei Operationen gewonnen werden. Die Jenaer Studie ist Teil eines Netzwerks, berichtet die Nachrichtenagentur ddp. Neun Forschergruppen untersuchen auf molekularer Ebene den Einfluss der Ernährung auf Entstehung und Vermeidung von Darmkrankheiten. Beteiligt sind unter anderem die Universität Kaiserslautern, das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg und die Bundesforschungsanstalt Karlsruhe.
"Es ist längst erwiesen, dass die Ernährung dazu beiträgt, ob Menschen bestimmte Krebsleiden bekommen oder nicht", betonte Pool-Zobel. Noch nicht ausreichend erforscht sei allerdings, welchen Bestandteilen der gesunden Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Brot die krebsvorbeugende Wirkung zu verdanken ist. Der aktuelle Forschungsstand deute auf sekundäre Pflanzeninhalts- und Ballaststoffe. So sei bekannt, dass Ballaststoffe im Darm zu Stoffwechselprodukten abgebaut werden, die in Dickdarmzellen Kettenreaktionen auslösen. Die Wissenschaftlerin geht davon aus, dass zusammen mit dem Apfelsaft dabei verstärkt Entgiftungsenzyme produziert werden. "Zellen mit vielen solcher giftschluckenden Eiweiße scheinen besser geschützt zu sein, von krebserregenden Substanzen gekapert und in Tumorzellen verwandelt zu werden", so Pool-Zobel abschließend.

 
Mit Mathe gegen den Tumor
München (alphagalileo) - Wenn ein Krebsgeschwür mit harter Röntgenstrahlung zerstört werden soll, ist ein exakter Bestrahlungsplan unabdingbar. Denn möglichst hohe Strahlungsdosen sollen das bösartige Geschwür treffen und dabei das umliegende gesunde Gewebe so weit wie möglich schonen. Ein verbesserter Ansatz dazu ist die "intensitätsmodulierte Radiotherapie", die am Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ in Heidelberg entwickelt wird.
Dabei bewegt sich die Strahlenquelle um den Körper des Patienten und nimmt den Tumor unter allen möglichen Winkeln mit variabler Intensität unter Beschuss. Gleichzeitig wird die Form des Strahls angepasst, indem ihn computergesteuerte, bewegliche Metallblätter oder -lamellen seitlich begrenzen.
Wie ein vertretbarer und ausgewogener Kompromiss zwischen Schädigung und Schonung in einem Bestrahlungsplan schneller und besser als bisher gefunden wird, zeigt das Projekt "Radioplan". Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM entwickeln mit Kollegen des Fraunhofer-Instituts für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI und des DKFZ eine Software, die Radiologen selbst bei komplexen anatomischen Gegebenheiten die Auswahl und Entscheidung für einen Plan erleichtern soll.
"Bei der Fülle der Variablen ist klar, dass es den besten Bestrahlungsplan nicht geben kann", betont Dr. Karl-Heinz Küfer von der Optimierungsabteilung des ITWM. "In der klinischen Praxis werden die Dosisverteilungen in den verschiedenen Geweben bisher nach Erfahrung bewertet. Daraus entwirft der Computer einen Plan, der in mehreren Zyklen mit dem Radiologen zeitaufwendig und daher wenig effizient so weit wie möglich optimiert wird." Im Projekt "Radioplan" hingegen kommt die mehrkriterielle Entscheidungstheorie zum Zug: Das Optimum ist dann erreicht, wenn die Verbesserung des Dosiseintrags in ein Organ nur noch eine Verschlechterung in anderen Organen nach sich zieht. Als Beurteilungsgrundlage dienen der Software mehrere hundert Bestrahlungspläne, die in einer Datenbank gespeichert sind.
"Nicht nur Genauigkeit und Zeitersparnis sind wichtig", weiß Küfer über die Arbeitsweise von Radiologen. "Will der Arzt geänderte Parameter in die Software eingeben oder verschiedene Szenarien ausgeben und vergleichen, so sollte dies nachvollziehbar und anschaulich möglich sein. Daher haben wir ein einfach bedienbares, inzwischen patentiertes Navigations-Tool in die Software integriert."

Fraunhofer-Gesellschaft - Presse