Es gehe nicht nur, aber auch um mehr Geld, sagte der Bundeskanzler weiter. Statt 137.000 S altem Karenzgeld
werde es in Zukunft 216.000 S neues Kindergeld geben, dazu ab 2003 die Erhöhung der Familienbeihilfe und die
Erhöhung der Mehrkind-Familienbeihilfe. Dies sei eine notwendige Investition in die Zukunft. Es werde aber
auch mehr Zeit für die Familien geben, nämlich 36 statt 24 Monate Karenz, und mehr Partnerschaft. Angesichts
von 150.000 Kindern unterhalb der Armutsgrenze sei das neue Kindergeld mit seinen Verteilungswirkungen auch ein
Beitrag zur Armutsbekämpfung, betonte Schüssel.
Der Bundeskanzler wies dann auf die "demographische Lücke" hin - über 95.000 Geburten 1993,
78.000 Geburten jetzt - und warnte vor den Folgen einer aus dem Gleichgewicht geratenden Demographie: der Generationenvertrag
geriete in Gefahr. Als Qualitätssprung sei zu werten, dass - zum ersten Mal in der Geschichte der österreichischen
Pensionsversicherung - Kinderbetreuungszeiten pensionsbegründend seien.
Abschließend skizzierte Schüssel weitere Aspekte einer "umfassenden Strategie". Er nannte
die Ausgaben ür Bildung und Forschung, die Tatsache, dass die Zahl der Lehrlinge gestiegen sei, die IT-Offensive
der Regierung. Erfreut zeigte sich der Bundeskanzler über die gestern zu Stande gekommene Parteieneinigung
über Schulpartnerschaft und Verhaltensvereinbarung und skizzierte weitere Eckpunkte seiner Politik: die Schaffung
drogenfreier Zonen um Schulen, den "härtesten Kampf" gegen Dealer und "Null Toleranz"
gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornographie. Schüssel sprach sich in diesem Zusammenhang für "Hinschauen
statt Wegschauen" aus. Der Familienfonds, schloss der Kanzler, sei ausschließlich den Familien gewidmet
und könne nicht zur Senkung der Lohnnebenkosten herangezogen werden.
Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer wies eingangs ihrer Rede auf den hohen Stellenwert hin, den laut allen Umfragen
die ÖsterreicherInnen der Familie zuwiesen. Sie räumte ein, dass es eine Diskrepanz zwischen Ideal und
Wirklichkeit gebe; diese Diskrepanz dürfe aber nicht dazu führen, das Ideal aufzugeben, sondern müsse
Anlass sein, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Familienpolitik sei eine der ganz großen Querschnittsmaterien
im neuen Jahrhundert, betonte die Vizekanzlerin, sie betreffe alle Ministerien sowie Bund, Länder und Gemeinden.
Riess-Passer bekannte sich zum neuen Kindergeld als Familienleistung statt - wie das bisherige Karenzgeld - als
Versicherungsleistung. Durch die erhöhte Zuverdienstgrenze sei die Wahlfreiheit für die Eltern garantiert,
Beruf und Familie seien leichter vereinbar. "Wir wollen, dass Mütter und Väter eigenverantwortlich
entscheiden können, wie sie gemeinsam in unterschiedlichen Familienphasen für das Familieneinkommen und
für die Erziehung der Kinder Sorge tragen." Familienarbeit sei "nicht austauschbar und nicht kündbar",
sie sei auch kein Job mit gewinnträchtigen Karriereaussichten. In der Familie lerne man soziale Tugenden und
Kompetenzen, in der Familie erfahre man, was es heiße, sich zu streiten und sich wieder zu vertragen. Noch
immer sei die Familie das tragfähigste Netz in den Wechselfällen des Lebens. Das Kindergeld sei "ein
familienpolitischer Meilenstein", fasste die Vizekanzlerin zusammen.
Auch die Vizekanzlerin stellte die Familienpolitik der Regierung in einen Gesamtzusammenhang der Regierungspolitik
und verwies auf die Änderung beim Pflegegeldanspruch bei Kindern und die gemeinsame Obsorge beider Eltern
nach Scheidung. Riess-Passer sprach sich für ein "Denken in Generationenbilanzen" und gegen neue
Schulden aus und sah im Schutz der Kinder - etwa in Berufsverboten für einschlägig Verurteilte - die
oberste Priorität.
Abgeordnete Mag. Barbara Prammer (SPÖ) warf der Regierungsspitze eingangs ihrer Wortmeldung vor, einen weiten
Bogen um ihre soziale Kälte und Härte gemacht zu haben. Sie hielt der Regierung "konsequente Benachteiligung
von Alleinerziehenden" vor und kritisierte, dass durch die Kindergeld-Regelung mehr als die Hälfte der
KarenzgeldbezieherInnen weniger Geld bekommen würde. Bundeskanzler und Vizekanzlerin hätten auch die
Studiengebühren - "Studentensteuer" - verschwiegen. Durch ihre Politik habe die Regierung viele
Familien in die Armutsgefährdung gebracht. "Sie reden von Eigenständigkeit", sagte Prammer,
"und wollen Abhängigkeit. Sie fördern jede Freizügigkeit der Wirtschaft und vergessen dabei
auf die Familien." Prammer verwies dabei auf die Einstellung der Regierung zu Schutzmaßnahmen für
Frauen in der Arbeitswelt.
Das Familienbild der Regierung habe sich offensichtlich seit dem 19. Jahrhundert nicht geändert: "Der
Mann ist der Chef der Familie, die Ehefrau fragt den Mann, ob sie berufstätig sein kann oder soll, und natürlich
haben die Frauen für die Kinder und den Haushalt rund um die Uhr da zu sein." Zum Beweis zitierte Prammer
aus dem Frauenprogramm der Volkspartei und der Freiheitlichen.
Die Sozialdemokraten hätten ein anderes Familienbild, fuhr die frühere Frauenministerin fort: "Für
uns ist Familie das engste persönliche Band, das Menschen haben können. Für uns ist Familie das
Zuhause, wo Menschen offen sein können, wo es ihnen auch einmal schlecht gehen kann und darf, wo sie Offenheit
und Ehrlichkeit leben können. Wir schreiben den Menschen nicht vor, wer für sie Familie ist." Familien
seien Eltern und Kinder, Kinder und alt gewordene Eltern - aber Familie sei auch jede Form des Zusammenlebens in
partnerschaftlicher und demokratischer Form, auch ohne Kinder, betonte Prammer, einschließlich gleichgeschlechtlicher
Partnerschaften. Der Regierung warf sie vor, Kinder zu diskriminieren, indem Kinder immer wieder unter dem Gesichtspunkt
von Geburtenraten diskutiert würden. Familienpolitik sei etwas anderes, als Geburtenraten zu diskutieren.
Kinder seien Bürgerinnen und Bürger mit eigenständigen Rechten, nämlich mit dem Recht auf Zuwendung,
Betreuung innerhalb und außerhalb der Familie, mit dem Recht auf beste Ausbildung, mit dem Recht, sich so
zu verhalten, wie sie es wollen, und mit dem Recht auf Förderung von Kreativität und Selbstbewusstsein,
sagte Prammer. Auch sie bekannte sich zum Recht der Kinder auf Schutz vor Gewalt, auch vor Gewalt innerhalb der
eigenen Familie. Eltern wollten beides, Beruf und Familie, betonte Prammer weiter, nicht "Wahlfreiheit"
zwischen Kind und Job, Geldleistung und Sicherheit des Arbeitsplatzes. Eltern brauchten Zeit für's Kind, d.h.
Zeitautonomie, Einkommenssicherheit, Arbeitsplatzsicherheit, Kinderbetreuung und Schutz vor Armut, fasste Prammer
zusammen.
Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP) ging zunächst nicht auf das Thema Familie ein, sondern benützte
seine Wortmeldung, um Bundeskanzler Schüssel zu dessen Geburtstag zu gratulieren. Zum Thema Familie kommend,
wies er die Kritik seiner Vorrednerin zurück. Zahlen und Fakten sprächen dafür, dass in Österreich
ein familienpolitischer "Sprung nach vorn" erfolgen müsse. Es gäbe Gründe, warum es in
Österreich weniger Kinder gebe, meinte Spindelegger und nannte dafür die "Grundeinstellung zur Familie".
Er skizzierte dann das Familienbild seiner Fraktion und nannte die "Familie mit zwei Eltern und Kindern"
als Leitbild - auch wenn anzuerkennen sei, dass es "verschiedene Arten des Zusammenlebens" gebe.
Der Abgeordnete ging dann auf die Bedingungen ein, unter denen Österreich familienfreundlicher werden könne.
Am wichtigsten sei die gesellschaftliche Anerkennung, betonte der Mandatar. Auch finanzielle Anerkennung sei wichtig,
denn ein Kinderwunsch dürfe nicht am Finanziellen scheitern. Wichtig seien auch "wirkliche Wahlmöglichkeiten
und die Ermöglichung eines nur teilweisen Ausstiegs aus der Arbeitswelt. Und Spindelegger fasste seine Einschätzung
des Kindergelds zusammen: Es sei "ein Quantensprung nach vorn".
Quelle: Parlamentskorrepsondenz
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