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Wolfgang Schüssel: Inhalte europäischer Politik in den Vordergrund!
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel meinte, der Vertrag von Nizza sollte rasch ratifiziert werden, er
sei zwar kein hundertprozentig perfektes Dokument, aber eines, auf dem man aufbauen könne. In seinen Ausführungen
zur gesamteuropäischen Debatte ging der Bundeskanzler von der Feststellung aus, dass institutionelle Fragen
in der aktuellen Debatte viel zu sehr im Vordergrund stehen. Dies führe dazu, dass wegen der Komplexität
der Themen und dem Tempo der Entwicklung vieles den Bürgern nicht mehr klar kommuniziert werden könne.
Demgegenüber schlug Bundeskanzler Schüssel eine Konzentration auf die Inhalte vor und meinte, man solle
den Bürgern klar machen, wie viel in der europäischen Integration zuletzt weiter gegangen sei: er nannte
den Binnenmarkt und die Wirtschafts- und Währungsunion. Als wünschenswert nannte er neue Strukturen in
der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und sprach die Erwartung aus, dass dies in den genannten
Bereichen Doppelgleisigkeiten überwinden lassen und dazu führen werde, dass Europa einen wirklichen Vertreter
nach außen habe.
Dazu kommen für Schüssel wichtige neue "soft issues". Fragen der Erziehung, der sozialen Standards,
der Kohärenz und der Gesundheitspolitik sollten in den Vordergrund gerückt werden, ohne die gemeinschaftlichen
Zuständigkeiten auszudehnen. Diese Themen sollen in nationaler Zuständigkeit bleiben, aber Rechtssicherheit
sollte geschaffen werden. Ein eigener Senat des EuGH könnte, so der Bundeskanzler, mit Subsidiaritäts-
und Kompetenzabgrenzungsfragen befasst und ein Klagerecht für Regionen eingeführt werden.
Die 16 bis 17 Ratsformationen will der Bundeskanzler in ihrer Effizienz stärken und Cluster-Bildungen voran
treiben, außerdem schlug er eine Reform des Ratssekretariats vor. Weitere Themen waren die Lozierung der
EU-Institutionen und in Verbindung damit die Frage, wo Europa sichtbar sein solle. Schüssel sprach sich für
die Stärkung der Regionen und für eine Dezentralisierung aus. Er plädierte für die Beibehaltung
des halbjährlichen Wechsels der Präsidentschaft. "Europa ist vielfältig, dezentral und bunt",
sagte der Bundeskanzler und lehnte eine Fokussierung der EU auf wenige Standorte als nicht sinnvoll ab.
Gegenüber dem Vorschlag einer Europa-Steuer zur Finanzierung der Union zeigte sich der Bundeskanzler prinzipiell
skeptisch und forderte konkretere Vorschläge der Kommission ein. Eine Konsumentensteuer sei abzulehnen, über
eine Kerosin-Steuer oder eine Besteuerung von Finanzdienstleistungen könne man nachdenken, keineswegs dürfe
es aber zu einer Belastung der Konsumenten und zu einer Erhöhung der Steuerlast kommen.
Schließlich bekannte sich der Bundeskanzler dazu, ein individuelles Klagerecht der Bürger von Seiten
Österreichs zur Diskussion stellen, da dies die EU individuell und persönlich lebbar und spürbar
machen würde. Außerdem unterstrich Schüssel sein Ziel, die nationalen Parlamente stärker in
das Institutionengeflecht und in die europäische Willensbildung einzubinden.
Susanne Riess-Passer: EU-Vertrauenskrise bei den Bürgern ernst nehmen
Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer stellte die Überzeugung an die Spitze ihrer Ausführungen,
dass über die Zukunft der Europäischen Union nur unter Einbeziehung der Menschen in Europa debattiert
werden könne. Sie begrüßte daher die heutige Enquete und einen offenen Dialog im Post-Nizza-Prozess.
Die Vizekanzlerin erinnerte an die negativen Wirkungen, die die Konzepte für ein Kerneuropa, ein Direktorium
und eine europäische Avantgarde bei den Bürgern hervorgerufen haben und riet dazu, zu hören, was
die Menschen wollen. Als ein Problem nannte auch Riess-Passer, dass die Menschen immer schwerer durchschauen können,
worin der Integrationsprozess bestehe und die Empfindung zunehme, immer weniger Einfluss darauf nehmen zu können.
Das habe zu einer Vertrauenskrise geführt, die ernst zu nehmen sei.
Europäische Gesinnung und Loyalität zu Österreich dürfen kein Widerspruch sein, sagte Riess-Passer
und äußerte die Auffassung, dass die Zukunft Europas immer eine Zukunft der Nationalstaaten sein werde.
"Wir lehnen einen zentralistischen europäischen Bundesstaat ab, weil wir das für einen falsch Weg
halten." In diesem Zusammenhang bedauerte die Vizekanzlerin, dass die Subsidiarität bislang nur ein Wort
im Vertrag von Maastricht geblieben sei, denn Entscheidungen seien möglichst nahe beim Bürger zu treffen.
Den von Helmut Schmidt so genannten "Kompetenzimperialismus der EU" lehnte auch Riess-Passer ab. Sie
forderte mehr Mut zu sagen, dass die eine oder andere Entscheidung nicht auf EU-Ebene, sondern auf einer unteren
Ebene effizienter getroffen werden könne und nannte dabei die Agrarpolitik, die mehr Entscheidungsfreiheit
auf nationaler Ebene brauche.
Andererseits bestünden Themen, die mehr und bessere europäische Regelungen verlangen, etwa für den
Umweltschutz, die Wissens- und Informationsgesellschaft, die AKW-Sicherheit, den Kampf gegen organisierte Kriminalität,
Schlepperunwesen und Terrorismus.
Als entscheidend bezeichnete die Vizekanzlerin die Einbindung der nationalen Parlamente in die europäische
Willensbildung und zitierte den Vorschlag Jean-Claude Junckers, dass immer dann, wenn mit Mehrheit gegen ein Mitgliedsland
entschieden werde, das nationale Parlament ein Klagerecht haben soll. Zustimmend äußerte sich die Vizekanzlerin
auch zu dem Vorschlag, einen Kompetenzgerichtshof einzurichten und den Regionen das Klagerecht einzuräumen.
Bedauerlich fand die Vizekanzlerin, dass das Europäische Parlament nur 50 % des europäischen Haushalts
kontrollieren könne. Die Zukunft der Kommission sah die Vizekanzlerin nicht in einer europäischen Zentralregierung,
ihr Vorschlag lautete, über eine Direktwahl der Kommissare nachzudenken.
Außerdem trat die Vizekanzlerin für Beitragsgerechtigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten ein und nannte
den österreichischen EU-Beitrag unverhältnismäßig hoch. Man sollte sich nicht scheuen, heikle
Punkte der Förderungspolitik anzusprechen und die Frage stellen, ob es notwendig sei, Förderungsmittel
aus dem Kohäsionsfonds an Staaten zu verteilen, die die WWU-Kriterien erfüllen.
Abschließend bekannte sich die Vizekanzlerin dazu, die Demokratisierung der EU in den Mittelpunkt der Überlegungen
zu stellen, um das von vielen bestätigte Demokratiedefizit der EU zu überwinden. Die Vizekanzlerin hielt
es daher für falsch, nach dem irischen Referendum zur Tagesordnung überzugehen. Bei den Bürgern
herrsche große Skepsis - die Konsequenz dürfe aber nicht sein, Entscheidungen an der Bevölkerung
vorbei zu treffen.
Caspar Einem: Interessen der Bürger in den Mittelpunkt stellen
Die Stellungnahmen von Seiten der Fraktionen bei der Europa-Enquete des Parlaments leitete Abgeordneter
Caspar Einem (SPÖ) mit einem Versuch ein, Lehren aus dem irischen Referendum zu ziehen. Es sei nicht gelungen,
die EU als ein Instrument der Politik darzustellen, das den Bürgern diene und nütze. Grund für die
Skepsis der Bürger sei deren Distanz zur EU. Die Bürger spürten, dass sie selbst nicht im Zentrum
der Bemühungen stehen. Der Binnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie bringen ihnen Vorteile,
aber sie fühlten, dass sie selbst nicht im Vordergrund stehen. Außerdem hätten sich die nationalen
Regierungen angewöhnt, die EU als Schuldigen dastehen zu lassen, wenn etwas nicht gut gehe, aber alles, was
funktioniere, sich selbst auf die Fahnen zu schreiben, weil sie im Inland gewählt werden müssen.
Auch in Nizza sei es nicht um Bürgerinteressen gegangen, nicht um die soziale Sicherheit, die Beschäftigung
und den Umweltschutz - das aber seien die Fragen, die im Mittelpunkt stehen sollten. Auch der Binnenmarkt sei nur
ein Instrument, um den Bürgern zu helfen.
Außerdem gehe es um die stärkere Beteiligung der unmittelbaren Vertreter der Bürgerinnen und Bürger,
also der gewählten Abgeordneten am europäischen Willenbildungsprozess und um größere Ehrlichkeit
der nationalen Regierungen in der Frage, was wo entschieden und wo welche Vor- und Nachteile erzeugt werden.
Die EU sollte als eine Veranstaltung vorgestellt werden, die den Interessen der Bürger dient. Die Sozialdemokraten
treten daher für eine neue Form der Vorbereitung von Verfassungsentscheidungen auf europäischer Ebene
ein. Sie verlangen einen Konvent, nicht nur eine offene Debatte. Die Sorgen der Menschen im Zusammenhang mit der
EU-Erweiterung seien ernst zu nehmen und die Risken so gering wie möglich zu halten.
Die Mitglieder des Rates sollten sich künftig nicht primär als Vertreter von Staaten, sondern als demokratisch
legitimierte Vertreter ihres Landes betrachten. Es geht darum, ein dem Bürger verpflichtetes Entscheidungsgremium
zu haben, ob das Zweite Kammer oder Rat heiße, ist für Caspar Einem gleichgültig.
Werner Fasslabend: Europa ist eine offene Wertegemeinschaft
Abgeordneter Werner Fasslabend (ÖVP) ging von den Fragen aus, was Europa sei, was die Europäische
Union sein solle und welche Union die Bürger haben wollen. Angesichts der enormen Fortschritte der europäischen
Integration, die umso deutlicher als Erfolgsgeschichte erkennbar werde, wenn man die Entwicklung Europas mit der
Entwicklung anderer Regionen der Welt vergleiche, konnte Fasslabend keinerlei Grund für einen Euro-Skeptizismus
erkennen. Europäische Integration sei stets durch kleine Schritte und mühevolle Entscheidungen charakterisiert
gewesen, sagte Fasslabend und umschrieb die Wünsche der Bürger mit den Begriffen: Wohlstand, Sicherheit
und größere Lebenschancen. Voraussetzung dafür sei es, kriegerische Auseinandersetzungen auf dem
Kontinent zu verhindern, sagte Fasslabend und unterstrich die Bedeutung einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits-
und Verteidigungspolitik, in der jeder solidarisch für den anderen einstehe. Dazu kommt der effektive Kampf
gegen organisierte Kriminalität, Terrorismus und Drogenhandel sowie der Umweltschutz.
Mit der Osterweiterung stehe ein neues Thema auf der Tagesordnung, nämlich die sehr unterschiedlichen Ausgangsstandards
der mittel-osteuropäischen Länder, was es notwendig mache, Überlegungen über soziale Mindeststandards
anzustellen.
Als seine Antworten nannte Abgeordneter Fasslabend eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik,
wobei es europäischer gesetzlicher Regelungen bedürfe, da die EU in diesem Bereich noch am Anfang stehe.
Fasslabend bekannte sich zu einer Kompetenzabgrenzung und zur Formulierung eines Verfassungsvertrages, wobei klar
sein müsse, dass Abgrenzungen angesichts der dynamischen Entwicklung, in der sich Europa befinde, nicht immer
klar möglich sein werde. Außerdem trat er für eine Stärkung der Kommission ein und schlug
vor, die Versammlung der Regierungschefs in ihrer bisherigen Form weiter zu entwickeln. Nicht zuletzt müsse
klar sein, dass Europa eine Wertegemeinschaft darstelle, die offen sei und niemandem den Zugang verwehre.
Gerhard Kurzmann: Kontrolle des Rates durch Mitglieder nationaler Parlamente
Abgeordneter Gerhard Kurzmann (FPÖ) machte auf die Kritik aufmerksam, die der Vertrag von Nizza im
Europäischen Parlament und in den Medien ausgelöst habe, wies zugleich aber darauf hin, dass es der Bundesregierung
sehr gut gelungen sei, österreichische Interessen zu wahren. Mehr als ein Kompromiss sei bei diesem Vertrag
nicht zu erwarten gewesen, dies müsse man realistischerweise zur Kenntnis nehmen, sagte Kurzmann. Als freiheitliche
Kernforderungen für die weitere Entwicklung nannte Kurzmann eine höhere Transparenz in der EU, eine größere
Bürgernähe und die Demokratisierung des Entscheidungsprozesses in der EU. Dies bedinge eine klarere Kompetenzabgrenzung
zwischen der Union und ihren Mitgliedsländern.
Im einzelnen befasste sich Kurzmann mit dem demokratiepolitischen Defizit der EU, wobei er vor allem die Intransparenz
der Beratungen im Europäischen Rat kritisierte, die an die Geheimdiplomatie des 17. und 18. Jahrhunderts erinnere
und sicher nicht in das 21. Jahrhundert passe. Eine entscheidende Frage der künftigen Entwicklung der Europäischen
Union sei die Frage der Rolle der nationalen Parlamente. Kurzmann plädierte nicht für eine zweite Kammer,
aber dafür, dass Abgeordneten der nationalen Parlamente direkt die Arbeit des Rates kontrollieren. Sie sollen
auch dafür sorgen, dass europäische Themen stärker in die Mitgliedsstaaten getragen werden, die
nationalen Parlamente gestärkt und die Bürger stärker an der europäischen Politik teilhaben.
In seinen weiteren Ausführungen unterstrich Abgeordneter Kurzmann die Notwendigkeit, die gemeinsame Außen-,
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik weiter zu entwickeln. Dem Vorschlag für eine EU-Steuer erteilte er eine
klare Absage, da sie für einen Netto-Zahler unzumutbar sei.
Johannes Voggenhuber: Europa als demokratische Res Publica
Abgeordneter zum Europäischen Parlament Johannes Voggenhuber (Grüne) sah die Europäische
Union vor die Frage gestellt, ob sie eine politische Union bleiben wolle, die von Eliten und Technokraten gestaltet
werde, oder ob sie zu einer "res publica" werden solle. "Wir sind Zeugen eines Machtkampfes, der
um die Entscheidung geführt wird, ob im künftigen Europa alle Macht vom Bürger ausgehen wird".
Voggenhuber warnte vor der Auffassung, das Abstimmungsergebnis in Irland sei auf mangelnde Information der irischen
Bürger zurück zu führen. Seine These lautete: Hätten die Iren noch besser gewusst, was im Vertrag
von Nizza steht, hätten sie den Vertrag mit noch deutlicherer Mehrheit abgelehnt. In diesem Zusammenhang wies
Voggenhuber darauf hin, dass das Europäische Parlament diesen Vertrag als kläglich und gescheitert bezeichnet
hat, wobei er beklagte, dass es in Nizza nicht gelungen sei, die Grundrechtscharta rechtsverbindlich zu machen
und den Bürgern einen direkten Zugang zum EuGH zu geben. Auch Voggenhuber kritisierte, dass die Beratungen
und Abstimmungen des Rates nicht öffentlich seien.
Heftige Kritik übte Voggenhuber an den gesetzgeberischen Funktionen des Rates, da die vornehmste Aufgabe der
Parlamente darin bestehe, Verfassungen zu schaffen. Diese Aufgaben sollten die europäischen Parlamente in
die Hand nehmen und so das "Europa der Reichsfürsten" zu einem republikanischen Europa machen. Voggenhuber
verlangte einen offenen Konvent für den Post-Nizza-Prozess, wobei er aber klar stellte, dass es nicht die
Parlamente seien, die die Regierung im Verfassungsprozess "stimulierten", sondern die Regierungen als
Berater der Parlamente fungierten. Denn nur die Parlamente seien legitimiert, die Völker zu repräsentieren.
Es werde entscheidend sein, ob sie sich daran erinnern oder ob sie Europa weiterhin den nationalen Verwaltungen
überlassen wollen. "Ein Europa, das nicht zu einer supranationalen Demokratie wird, führt uns in
das 19. Jahrhundert zurück", sagte Voggenhuber und mahnte die Durchführung der Gewaltentrennung
auf europäischer Ebene ein. Es sei nicht zulässig, "dass ein Minister in Wien das Flugzeug betritt
und es in Brüssel als Gesetzgeber verlässt", schloss Voggenhuber pointiert. |
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In der anschließenden Diskussion brach Abgeordneter Johann Bauer (SPÖ) eine Lanze für eine stärkere
Beachtung der sozialen Dimension in der EU. Sie müsste einen gleichen Stellenwert wie jene der wirtschaftlichen
Dimension haben, nur dann könne man bei den BürgerInnen Akzeptanz erreichen, zeigte sich der Abgeordnete
überzeugt. Ebenso müsste für die Bewältigung der Probleme von Grenzregionen im Rahmen der EU-Erweiterung
etwas getan werden. Institutionelle Fragen hätten zwar eine wichtige Funktion für das Funktionieren der
Union, seien aber für die BürgerInnen nur von sekundärer Bedeutung.
Abgeordneter Michael Spindelegger (ÖVP) betonte, wie einige Vorredner zuvor auch, die Notwendigkeit einer
stärkeren Einbindung der nationalen Parlamente in den EU-Entscheidungsprozess und meinte, dass die Verfassungslage
dafür großen Spielraum biete, der - wie die Einberufung des parlamentarischen Komitees während
des Europäischen Rates in Nizza zeigte - auch ausgenützt werde. Dennoch sollten die Möglichkeiten
ausgeweitet werden. In diesem Zusammenhang ließ er mit dem Vorschlag aufhorchen, eventuell ein Interpellationsrecht
nationaler Parlamente gegenüber der Kommission zu schaffen. Darüber hinaus sprach er sich für eine
klare Trennlinie zwischen EU und Nationalstaaten aus, da sonst das Konfliktpotential steige, etwa bei der Raumordnung.
Er rief auch dazu auf, der Idee eines Verfassungsvertrages positiv gegenüber zu stehen, wo verfassungsgesetzlich
gewährleistete Rechte der BürgerInnen entwickelt würden. Die Charta der Grundrechte sei eine wesentliche
Grundlage dafür.
Der Präsident des Salzburger Landtages Helmut Schreiner kritisierte, dass beim Thema Demokratisierung immer
nur von den nationalen Parlamenten gesprochen werde. Seiner Meinung nach müssten jedoch alle Parlamente eingebunden
werden und so sollten auch die Landtage in die COSAC sowie beim kommenden Diskussionsprozess um eine europäische
Verfassung eingebunden werden. Er forderte auch für jene Regionen, die Gesetzgebungsfunktion haben, ein Klagerecht
beim EuGH. Vor allem wünscht er sich für Großregionen, etwa für Salzburg und Bayern, mehr
Freiheiten.
Universitätsprofessor Alexander Somek (Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien) möchte,
dass mehr über Inhalte der europäischen Politik geredet wird, denn Werte und Ziele stünden ohnehin
fest. Ihm fehlen derzeit noch immer politische Parteien, die sich organisieren und ein Programm formulieren.
Als "nicht Europa-euphorisch" sondern als "konstruktiv Europa-skeptisch und -kritisch" bezeichnete
sich Universitätsprofessor Günther Winkler (Universität Wien). Er forderte den Nationalrat auf,
sich seiner Bedeutung bewusst zu werden, da dieser der Regierung in Europafragen auch Gesetzgebungsaufträge
geben könne und somit die Regierung in einem gebundenen Mandat gegenüber dem Nationalrat stünde.
Der Hauptausschuss sollte daher seiner Meinung nach mindestens einmal monatlich zu EU-Fragen zusammentreffen. Die
Frage, ob denn die EU ein Staat sei, bezeichnete Winkler als unnütz, da es keine idealen Einheiten gebe und
die Staatlichkeitskomponenten bereits stark fortgeschritten und nicht mehr wegzudenken seien. Als Grundlage für
ein europäisches Verfassungsrecht sollte aber das Völkerrecht gelten. Unter Zitierung eines Buches des
ehemaligen Zweiten Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser, der darin Europa symbolisch als einen griechischen
Tempel zeichnet, rief Winkler emotionell in Erinnerung, dass das Fundament dieses Tempels die staatlichen Verfassungen
und das Parlament bildeten.
Ist alter Verfassungsstaat noch ein angemessenes System für Europa?
Wien (PK) – Über das Thema "Eine klare Aufgabenverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedern"
sprach Universitätsprofessor Klaus Firlei (Universität
Salzburg). Wenn sich dabei jemand erwartet hatte, aus dem Mund eines Wissenschaftlers einen Katalog von Kompetenzabgrenzungen
zu hören, so wurde er von
Firlei bewusst enttäuscht. Denn der Rechtswissenschaftler zog als eine Grundthese die Annahme in Zweifel,
ob denn die Vision des alten Verfassungsstaates noch ein
angemessenes System für Europa sein könne und ob nicht die Frage nach einer echten Kompetenzabgrenzung
falsch gestellt sein könnte. Firlei meinte sogar, dass
wir in Europa einen "Subsidiaritäts-Overkill" hätten, den wir überwinden müssten,
weil er einfach zu langsam sei.
Die europäische Politikebene sei anders konzipiert und baue auf einem lebendigen Fundament auf, das er Zivilgesellschaft
nannte, das nicht mehr allein eine
Abstimmungsdemokratie sein könne. Die einfachen Modelle "hier Gesetz", "hier Vollziehung"
und "Friss oder stirb, Bürger" funktionierten einfach nicht mehr. Den
alten, alles anordnenden Staat könne es nicht mehr geben, denn Europa sei geschaffen worden, um die großen
Probleme zu lösen, für die die Nationalstaaten zu klein
seien. Kompetenz gewinne man heute nicht mehr ausschließlich durch Gesetzgebung, sondern über das Organisieren
der großen Fragen in Europa.
Die jetzige Diskussion um klare Abgrenzungen fordere seiner Ansicht nach Zynismus heraus, da wir ohnehin bereits
mit einem Superstaat konfrontiert seien, da wir
einerseits Aktionäre, wie die Wirtschaft, hätten, die eigentlich keine Kompetenzen innehaben, und andererseits
Organe mit hohen Kompetenzen, die aber auf
Verfahrensebene in ihren Kompetenzaufgaben konterkariert würden. Der Deregulierungsdruck und die Liberalisierung
hätten uns vor die Realität einer neuen
Wirtschaftsverfassung gestellt, die die Gesellschaft geändert habe und die bereits zu einem gigantischen Souveränitätsverlust
der Mitgliedsstaaten geführt hätte.
Märkte, die sich schrankenlos entwickeln, brauchten daher ein geeignetes politisches Gegengewicht, um Sozial-
und Umweltdumping zu verhindern, auf denen heute
der wirtschaftliche Erfolg beruhe.
Um Kompetenz zu entwickeln, diese umfassenden Probleme zu lösen, ginge es heute daher weniger um Kompetenz
im Sinne von Regelungsbefugnissen und
Machtausübung, sondern viel mehr um die Fähigkeit zur Gestaltung. Die Staaten würden sich aus diesem
Grund zu "Supervisions-Staaten" entwickeln, weil es eben
nicht mehr möglich sein werde, etwa Armut per Gesetz zu bekämpfen. Der moderne Staat organisiere, leite
an, motiviere und schaffe Bewusstsein. Er habe wie ein
modernes Unternehmen zu agieren, nämlich intelligent Probleme zu managen, indem man vertikale Vernetzungen
zwischen den verschiedenen Ebenen schaffe und
Regionen, Gewerkschaften, Mitgliedsstaaten der EU, Wissenschaft sowie Wirtschaft einbinde.
In diesem Zusammenhang kritisierte Firlei auch die nationalen Egoismen innerhalb der EU, die eine Lösung der
sensiblen Verfassungs- und Kompetenzfragen beinahe
unmöglich machen. Er sprach sich daher auch ganz klar für den Ausbau der Mehrheitsentscheidungen aus
und rief die PolitikerInnen dazu auf, europäische Politik
und nicht nationalstaatliche Politik zu machen und den Demokratisierungsprozess voranzutreiben, was auf alle Fälle
ein starkes Parlament bedeute.
Im Anschluss an das Referat von Universitätsprofessor Firlei gab es eine lebhafte Diskussion, in der die verschiedensten
Aspekte von mehr Bürgernähe und Entwicklung einer Europäischen Verfassung angesprochen wurden.
So unterstrich Abgeordneter Günter Stummvoll (ÖVP), dass die politische Sicht einer Aufgabenteilung in
Hinkunft die sein müsse, dass wir uns auf europäischer Ebene auf die Themen Sicherheit und Frieden, Arbeitsplätze
und Einkommenschancen sowie Strategien für eine lebenswerte Umwelt konzentrieren. Dann würde die Akzeptanz
der Bevölkerung auch rasch steigen. Zurückkommend auf das Referat der Vizekanzlerin meinte er, dass man
so kommunizieren sollte, als gäbe es eine Volksabstimmung über die Erweiterung. Eine solche tatsächlich
abzuhalten, widerspräche seiner Meinung nach aber der europäischen Idee.
Abgeordneter Caspar Einem (SPÖ) replizierte auf Professor Firlei insofern, als er meinte, dass es auch weiterhin
Bereiche auf nationaler und europäischer Ebene geben werde, wo die Gesetzgebung gefordert sei und dort müssten
die Parlamente das Sagen haben. Bundesrat Alfred Schöls (ÖVP) wiederum meinte, dass es wesentliche Aufgabe
der Politik sei, den Bürgern Ängste zu nehmen und der Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Jedenfalls
habe das Subsidiaritätsprinzip Leitlinie für eine Kompetenzabgrenzung zu sein. Die Europa-Abgeordnete
Marilies Flemming (ÖVP) plädierte mit Nachdruck dafür, Europa größer zu denken, als in
Institutionen oder in wirtschaftlichen Strukturen.
Einem sprach sich auch gegen das vom Salzburger Landtagspräsidenten Helmut Schreiner und vom Vertreter der
Kärntner Landesregierung Wolfgang Ilgenfritz geforderte Klagerecht für kleinere Einheiten aus, da es
nicht angehe, zusätzliche Bremsen einzubauen. Dies gehe auch an den Interessen der BürgerInnen vorbei.
Der Generalsekretär des Städtebundes Erich Pramböck artikulierte seine Sorgen bezüglich des
Zwangs zur Ausschreibung, da damit die Selbstgestaltung der Städte und Gemeinden ausgehöhlt würde.
Als Beispiel dafür nannte er die Daseinsvorsorge, die von den Gemeinden unter demokratischer Kontrolle organisiert
würde, und den Nahverkehr. Hier Ausschreibungsvorschriften zu erlassen, sei ein gefährliches Vorhaben,
weshalb es notwendig sei, genau jene Schnitte zu definieren, wo auf örtlicher Ebene selbst gestaltet werden
könne und was europäisch ausgeschrieben werden müsste. Auch Wolfgang Ilgenfritz von der Kärntner
Landesregierung sprach sich für eine Präzisierung des Subsidiaritätsprinzips aus, wobei auch positive
und negative Kompetenzabgrenzungen vorgenommen werden sollten. Unklare Kompetenzen würden nur zu Streitigkeiten
und zu einem Vertrauensschwund führen.
Universitätsprofessor Hubert Isak (Universität Graz) meinte, dass es unbestritten ein Bedürfnis
nach einer neuen Kompetenzregelung gebe und diese auch notwendig sei. Eine solche sei aber auch nur in einem beschränkten
Maße geeignet, einen genauen Kompetenzkatalog zu definieren, da es unter den besonderen Bedingungen der EU-Integration
auch relativ weit gefasste Normen geben müsse. Er sprach sich daher auch gegen eine Streichung der Generalklausel
aus. Als Nachteil einer solchen Kompetenzregelung sieht er die Gefahr, dass es auch weiterhin unbestimmte Formulierungen
geben werde, da anderes nicht konsensfähig sei. Vorteil sei aber die größere Transparenz, Stabilität
und Rechtssicherheit.
Demgegenüber sprach sich Universitätsprofessor Günther Winkler (Universität Wien) gegen
die Generalklausel aus. Ihm zufolge müsse man zu einer klaren Aufteilung "Ja" sagen, denn für
Rechtsakte müsse es eine ganz klare Kompetenzregelung geben, da das Ganze sonst nicht funktioniere. Winkler
trat auch für eine Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Nationalstaaten ein und ließ mit der
Forderung aufhorchen, dass im Artikel 6 des EU-Vertrages auch die Identität der Staaten als Prinzip festgelegt
werden sollte.
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Stärkung der Demokratie durch Stärkung der Parlamente
Die Teilnehmer an der Parlamentarischen Enquete wandten sich sodann folgenden Themen zu: "Zur Stärkung
der Demokratie in der Europäischen Union" sowie "Die Zukunft der Europäischen Union aus der
Sicht des Europäischen Parlaments".
"Ich spreche hier in einem Parlament, das sich formal die besten Mitspracherechte in Europa gesichert hat",
meinte einleitend Univ.-Prof. Sonja Puntscher-Riekmann (Österreichische Akademie der Wissenschaften). Trotzdem
gelingt es aber etwa dem dänischen Parlament, das diese Rechte nicht formalisiert hat, wesentlich erfolgreicher,
diese Rechte auszunützen und seine Stellungnahmen auf europäischer Ebene geltend zu machen. Das österreichische
Beteiligungsmodell sei ihrer Auffassung nach kläglich gescheitert.
Unter Bezugnahme auf einige Wortmeldungen stellte Puntscher-Riekmann zunächst die Frage, warum Institutionen
gegen politische Inhalte ausgespielt werden. Zwischen diesen beiden Begriffen bestehe eine enge Dialektik und sie
plädiere daher für ein Zusammendenken dieser beiden Bereiche. Zudem unterstrich sie, dass unter Demokratie
eine präzise Form der Organisation von Herrschaft verstanden wird und sich daher die Frage der Demokratie
dort stelle, wo Macht und Herrschaft ausgeübt werden. Es sei unbestritten, dass sich die EU in einem Staatswerdungsprozess
befinde; spätestens seit der WWU wurde dieser Rubikon
überschritten.
Puntscher-Riekmann warnte davor, so zu tun, als wäre die Europäische Union wie ein deus ex machina über
uns herabgeschwebt und nicht das Produkt von Vertragsabschlüssen und daraus resultierender Politik durch die
nationalen Regierungen. Einen Konsens gebe es auch darüber, führte sie weiter aus, dass ein wesentliches
Problem die Suspendierung der Gewaltenteilung darstellt. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der europäischen
Demokratien sei man formal mit "Regierungsgesetzgebung" konfrontiert. Europa befinde sich in einer "Krise
des Parlamentarismus", meinte sie, da zwei Organe - nämlich die Parlamente und die Regierungen - beanspruchen,
Repräsentanten des Souveräns, der Völker, zu sein. Ebenso war sie überzeugt davon, dass es
ohne das Entstehen eines "europäischen Interesses" keine echte Union geben könne. Dies hänge
eng zusammen mit der Vorstellung eines europäischen Gesellschaftsmodells und der Vorstellung dessen, was
europäische Solidarität ist und nicht nur mit dem Institutionengefüge, erklärte sie.
Der Post-Nizza-Prozess biete die einmalige Chance, die wiederholte Vertagung der institutionellen Probleme seit
Maastricht einer Lösung zuzuführen. Dafür sei es unumgänglich, Verfahren der Beteiligung und
der Repräsentation zu finden, wo die neue europäische Verfassungsordnung diskutiert und auch entschieden
wird, da eine neue Ordnung nicht am Reißbrett entworfen werden könne. Sie wies darauf hin, dass sich
das Modell des Konvents als produktiv erwiesen habe, weil damit eine Ausweitung der Akteure, die eine neue Sichtweise
einbrachten, verbunden war. Erst dann stelle sich aus ihrer Sicht die Frage der Gewalten- und
Kompetenzverteilung.
Puntscher-Riekmann war der Meinung, dass eine Zentralisierung der Geldpolitik nicht einhergehen könne mit
einer Dezentralisierung der Wirtschafts-, Sozial-, Bildungspolitik etc. Eine bestimmte Zentralisierung Europas
werde daher unausweichlich sein; diese könne aber nur dann glücken, wenn sie tatsächlich demokratisch
veranstaltet wird. Das heißt, dass auch die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen Grundprinzipien der Demokratie
wahren muss, damit die unterlegene Minderheit bereit ist, die Entscheidungen der Mehrheit zu akzeptieren. Eine
neue Verfassungsgrundlage sollte plebiszitär in allen Mitgliedstaaten abgestimmt werden, denn nur das könne
die Loyalität der Bürger gegenüber der neuen Konstruktion erhöhen. Sie wisse, dass es sich
dabei um ein riskantes Spiel handle; aber gleichzeitig frage sie sich, wie lange wir uns noch das Risiko von Einzelablehnungen
leisten können, ohne das gesamte Integrationsprojekt zu gefährden.
Abgeordnete Inge Jäger (SPÖ) sah die größte Gefahr darin, dass die Bürger mit den Integrationsentwicklungen
nicht Schritt halten können bzw. wollen. Die Voraussetzung dafür wäre, meinte Jäger, dass die
Lebensqualität aller Menschen in Europa verbessert und ihnen eine Zukunftsperspektive in Richtung mehr Demokratisierung
geboten wird. Weiters forderte sie eine Stärkung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments sowie eine
Etablierung eines Konvents, in dem über entscheidende und richtungweisende Fragen diskutiert wird. Überdies
müsse ihrer Ansicht nach der Europa- und Solidaritätsgedanke in den Vordergrund gerückt werden.
Wir sind dazu aufgerufen, betonte Abgeordneter Gerhard Fallent (FPÖ), mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
in das Haus Europa zu tragen. Sodann befasste er sich mit dem Prinzip Nachhaltigkeit, das seiner Meinung nach eine
lebensnotwendige Orientierung darstellt. Die Realität sehe aber bedauerlicherweise anders aus, da es einen
massiven Strukturwandel gibt, es zu massiven Veränderungen im landwirtschaftlichen Bereich gekommen ist und
eine ausreichende Nahversorgung nicht mehr garantiert werden könne. Dies zeige, dass es erforderlich ist,
- sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene - auf die Interessen und Bedürfnisse der Bürger
besser einzugehen und sie in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
Abgeordneter Wolfgang Großruck (ÖVP) appellierte, sich in die Bürger hineinzudenken, ihre Sorgen
ernst zu nehmen und offen und ehrlich zu diskutieren. Für viele Menschen sei die EU der Sündenbock, und
zwar nach dem Motto "man haut den Sack, aber meint den Esel". Auch solle man für hausgemachte Fehler
nicht die EU verantwortlich machen, denn dann dürfe man sich nicht wundern, wenn eine negative Stimmung entstehe.
Großruck sprach sich für eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips aus, um eine Bürokratisierung
bis in die Wohnzimmer hinein zu vermeiden.
Für Abgeordnete Evelin Lichtenberger (Grüne) geht es vorrangig darum, für eine Demokratisierung
der Prozesse auf europäischer Ebene zu sorgen - jetzt oder nie! Auf nationaler Ebene wären die Voraussetzungen
geschaffen, sich an den Entscheidungsprozessen entsprechend zu beteiligen, aber die Praxis sehe leider anders aus,
bedauerte sie.
Abgeordneter Gerhart Bruckmann (ÖVP) widersprach Puntscher-Riekmann, die die Ausnützung der österreichischen
Mitspracherechte im EU-Gesetzgebungsverfahren als kläglich gescheitert ansah. Er erinnere sich an viele Stunden
im Hauptausschuss, in denen - in Anwesenheit der Minister - intensiv über EU-Themen diskutiert wurde. Die
Zusammenarbeit auf individueller Basis sei allerdings in Dänemark stärker ausprägt, räumte
Bruckmann ein. Was die Frage der EU-Verfassung angehe, so warne er davor, ein großes kodifiziertes Kompendium
zu entwickeln, da es sich um einen kontinuierlich weiter zu entwickelnden Prozess handle, in dem das Subsidiaritätsprinzip
- den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend - ständig neu interpretiert und angewandt werden müsse.
Univ.-Prof. Alexander Somek meinte, das Demokratiedefizit sei ein fälschlich so bezeichnetes Defizit, denn
eigentlich müsste man es als ein Parlamentarismusdefizit in der Europäischen Union bezeichnen. Er war
auch überzeugt davon, dass Parlamente sich anstrengen müssen, für Bürger attraktiv zu bleiben.
Was den Begriff des Verfassungskonvents angeht, so bedauerte er, dass dieser durch die europäische politische
Praxis etwas verwässert worden ist.
Der EU-Vertrag sei wie ein Haus, in dem sich die europäischen Gemeinschaften, die Gesamtheit der Staaten,
der Regionen, Gemeinden etc. verlebendigen müssen, meinte Univ.-Prof. Günther Winkler (Uni Wien). Allerdings
gab er zu bedenken, dass der EU-Vertrag problematisch und äußerst reformbedürftig sei. Das wichtigste
Anliegen sei daher, die Klärung, Bereinigung und Entrümpelung dieses legistisch verunglückten völkerrechtlichen
Vertrages. Weiters machte er darauf aufmerksam, dass es kein Idealbild der Gewaltenteilung gibt, sondern nur eine
vernünftige Ordnung des Gemeinschaftswesens gemäß den Anforderungen der jeweiligen Zeit.
Die Kompetenzfrage stelle sich für ihn erst dann, erläuterte Univ.-Prof. Klaus Firlei (Universität
Salzburg), wenn tatsächlich auf europäischer Ebene normale staatliche Verhältnisse eingekehrt sind,
also wenn Gesetze mit 50%iger Mehrheit im Europäischen Parlament beschlossen werden. Aus heutiger Sicht sehe
er alle Forderungen nach Klärung der Kompetenzen und einer Stärkung des Subsidiaritätsprinzips als
eine weitere Entmachtung der Politikfähigkeit der Gemeinschaft. "Wir brauchen die Generalkompetenzen",
forderte er, damit der europäische Gesetzgeber auf die rasanten Strukturveränderungen reagieren kann.
Firlei sprach von einer "echten Integrationsfalle" und forderte daher eine Stärkung der "oberen
Ebene".
EP-Abgeordneter Johannes Voggenhuber (G) bezeichnete sich als glühenden Verfechter des Subsidiaritätsprinzips.
Bei strenger Prüfung dieses Grundsatzes würde man schlagartig erkennen, dass eine Fülle von Aufgaben
nur zentral gelöst werden könne. |
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EP-Vizepräsident Martin: Weniger machen, aber besser machen
In der Parlamentarischen Enquete ergriff sodann der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, David
Martin, das Wort, um zum Thema "Die Zukunft der EU aus der Sicht des Europäischen Parlaments" zu
sprechen. Er zeigte sich wenig angetan von Komplexität und Undurchschaubarkeit des Vertragswerkes von Nizza,
welche wesentlich zur Skepsis in der Bevölkerung gegenüber den darin enthaltenen Inhalten geführt
hätten. Dabei zitierte er die ehemalige US-Außenministerin Albright, die gemeint habe, man müsse
entweder ein Franzose oder aber ein Genie sein, um diesen Vertrag zu verstehen, wobei er, Martin, allerdings befürchte,
dies könne nicht einmal einem französischen Genie gelingen.
Vor diesem Hintergrund sei auch das Votum der Iren erklärbar. Die Vertragsgegner hätten eine klare Linie
vertreten können - durch den Vertrag verlöre man Geld, Souveränität und Einfluss - während
die Befürworter schon bei der Erklärung der unzähligen unterschiedlichen Abstimmungsmodalitäten
ihre liebe Not gehabt hätten. Insgesamt seien beim Nizza-Prozess substantielle Fehler in der Vermittlung unterlaufen,
etwa die Art, wie die bevorstehende Einigung seinerzeit verkündet worden sei, dass man nämlich ein Agreement
erzielt habe, derzeit aber noch nicht sagen könne, wie jenes genau aussehe. Die Lehre daraus müsse sein,
dass ein Vertrag nie mehr auf eine solche Weise zu Stande kommen dürfe.
Künftig müsste die Bevölkerung wirklich in die Diskussionsprozesse einbezogen werden, müsste
vermittelt werden, über welche Themen debattiert wird, wie die einzelnen Standpunkte hiezu aussehen. Das EP
habe beispielsweise bereits einen diesbezüglichen Prozess in Gang gesetzt, der fristgerecht im Frühjahr
2004 zu einem Abschluss gebracht werden soll, um noch vor den nächsten Europawahlen konkrete Ergebnisse präsentieren
zu können.
Das Problem der EU sei, so Martin weiter, dass ihr Gebäude derzeit nicht die klaren und strengen Formen eines
griechischen Tempels aufweise, sondern einem Schloss gleiche, in das im Laufe der Zeit die verschiedensten architektonischen
Stile Eingang gefunden hätten, wodurch sich eine undurchschaubare, verschachtelte Struktur ergeben habe, die
für niemandem mehr nachvollziehbar sei. Die Debatten müssten vereinfacht werden, damit die Leute in der
Lage sind, sie zu verstehen. Die Verträge müssen auch für Nichtspezialisten lesbar sein, es brauche
klare Dokumente, eine Art europäische Verfassung, die präzise und konkret abgefasst sind und den Bürgern
die zentralen Punkte des europäischen Prozesses einfach vermitteln. Weniger sei in dem Fall mehr, meinte Martin:
"Do less, but do better!"
Weiters sprach sich Martin für eine verstärkte Beteiligung der nationalen Parlamente in europäischen
Angelegenheiten aus, vertrat aber gleichzeitig die Ansicht, dass eine zweite Kammer des EP wenig zweckdienlich
wäre, weil diese wohl die Entscheidungsfindung noch mehr verlangsamen und die Barriere zwischen den europäischen
Institutionen und den Bürgern neuerlich vergrößern würde. Doch es gäbe andere Möglichkeiten
der verstärkten Mitgestaltung, so einen regelmäßigen Informationsaustausch zwischen EP und den
nationalen Parlamenten, den Ausbau der Cosac und, als konkreten Vorschlag Martins, eine Art "State of the
Union"-Rede der jeweiligen EU-Ratspräsidentschaft, die vor einem europäischen und nationalstaatlichen
Forum ihre Ziele und Einschätzungen vortragen könnte. Eine besondere Rolle bei der Vermittlung europäischer
Angelegenheiten wies Martin schließlich auch den politischen Parteien zu, die stärker als bisher ihre
Vorstellungen
nach außen tragen sollten.
Post-Nizza unter Einbeziehung der Bevölkerung
Über den weiteren Diskussions- und Entscheidungsprozess zur Zukunft der EU äußerte sich
dann Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Sie teilte die zuvor vertretene Ansicht, Europa solle nicht
am Reißbrett entworfen werden. Daher müsse man dort aufbauen, wo wir stehen, bei den Räten, der
Kommission und den europäischen Instanzen. Die Einbindung der nationalen Parlamente könne etwa durch
verstärkte Bildung von Kommissionen erfolgen, in die man Abgeordnete der nationalen Parlamente hereinholt,
was gegenüber einer zweiten Kammer des Europaparlaments zu präferieren wäre, da die Entscheidungen
schneller fallen müssen und klarer sein sollen.
Der Post-Nizza-Prozess sei noch nicht wirklich angelaufen - dies werde wohl erst unter dem belgischen Vorsitz geschehen
-, doch müsse die diesbezügliche Debatte unter Einbeziehung der Bevölkerung geführt werden.
In Österreich habe man damit am 30. Mai begonnen, und auch die heutige Diskussion diene diesem Zweck, so die
Ministerin.
Zielführend sei es, wenn diese Foren einen flexiblen Partizipientenkreis hätten, der auch themenspezifisch
wechseln könne, gelte es doch, auf das Expertengut zurückzugreifen. Außerdem sollten die Diskussionen
in eine Regierungskonferenz einmünden, um auch die Resultate nochmals einer Bewertung unterziehen zu können.
In diesen Diskurs müsse man auch die Beitrittskandidaten einbeziehen, die bereits an der Regierungskonferenz
2004 gleichberechtigt teilnehmen dürfen sollten, da sie Miteigentümer dieses Prozesses und nicht bloß
Untermieter sein müssten.
Grundsätzlich hielt Ferrero-Waldner fest, dass "wir selbst" von Europa begeistert sein müssen:
"Nur wenn wir selbst Enthusiasten sind, können wir Europa positiv vermitteln." In der Welt werde
die EU vielerorts als Vorbild gesehen, dies müsse man auch der eigenen Bevölkerung nahe bringen. Überdies
müssten die europäischen Werte weiterentwickelt werden, denn der Jugend genügten etwa Frieden, Wohlstand
und Sicherheit allein nicht mehr. Man müsse also weitere Perspektiven entwickeln und Neues erarbeiten, damit
sich der Sinn des europäischen Projekts auch kommenden Generationen erschließt.
Vor den Schlussstatements der einzelnen Fraktionsvertreter versuchte Universitätsprofessor Günther Winkler
noch einmal etwaige verfassungsrechtliche Bedenken gegen den fortschreitenden Integrationsprozess in der EU auszuräumen.
"Haben Sie keine Scheu, von einer Verfassung Europas zu reden oder zu träumen", appellierte er an
die Abgeordneten, unabhängig davon, ob die EU nun ein Staat, ein Superstaat, eine Föderation oder was
auch immer sei. Für ihn selbst ist Europa einfach "eine Verbandseinheit sesshafter Menschen".
Winkler bekräftigte darüber hinaus seine Auffassung, dass es keiner zweiten parlamentarischen Kammer
in der EU bedürfe. In Wahrheit gebe es mit dem Rat bereits eine solche zweite Kammer, meinte er. Es gehe lediglich
darum, den Rat im Verhältnis zu den EU-Institutionen und zu den nationalen Parlamenten zu positionieren.
Die Schlussrunde der Fraktionssprecher wurde von EP-Abgeordnetem Johannes Voggenhuber (Grüne) eingeleitet,
der nochmals eindringlich auf die Demokratiedefizite der EU hinwies. Der Übergang von einer internationalen
Organisation zu einer supranationalen Staatlichkeit sei erfolgt, ohne ein angemessenes System von "Checks
and Balances" auf europäischer Ebene mitzubegründen, mahnte er. So ist es für ihn "schlicht
unerträglich", dass "der heiligste Grundsatz der Demokratie", die Öffentlichkeit der Gesetzgebung,
im Rat einfach negiert werde, und dass der Europäische Gerichtshof die Ausübung staatlicher Gewalt im
Zusammenhang mit der Zusammenarbeit in Polizei- und Justizfragen nicht kontrollieren könne.
Voggenhuber führt die mangelnde Akzeptanz der EU vor allem auf diese Zustände, aber auch auf die Tatsache
zurück, dass der Integrationsprozess viel stärker von wirtschaftlichen Motiven als von politischen Motiven
angetrieben worden sei. Seitens der einzelnen Staaten würden nationale Souveränitätsrechte abgegeben,
ohne dass diese von der EU wahrgenommen würden. Voggenhuber zufolge müssen daher vor allem "die
Zähmung der Macht und die Zähmung der wirtschaftlichen
Interessen" in den Vordergrund gerückt werden.
Seitens der SPÖ hielt Nationalratsabgeordneter Caspar Einem zusammenfassend einige ihm wesentlich erscheinende
Aspekte der Diskussion fest. So zeigt sich für ihn klar die Notwendigkeit, die Regeln, die die Menschen zu
befolgen haben, von diesen selbst beschließen zu lassen, was eine stärkere Parlamentarisierung der EU
bedeute. Zudem braucht man seiner Meinung nach eine öffentliche Diskussion über inhaltliche Fragen und
Lebens- und Alltagsinteressen der BürgerInnen.
Zur Ausarbeitung einer Verfassung der EU wünscht sich Einem die Einrichtung eines Konvents, dem Parlamentarier
der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments sowie Vertreter der Europäischen Kommission
und der nationalen Regierungen angehören sollen, der aber auch für Vertreter der Kandidatenländer
und für "die Zivilgesellschaft" offen ist. Dieser Konvent solle einen einheitlichen Vorschlag erarbeiten,
der dann auch verbindlich sein sollte. Um das Interesse in Österreich an EU-Politik zu erhöhen, wäre
Einem zufolge außerdem zu überlegen, manche Debatten, die im EU-Hauptausschuss geführt werden,
in der einen oder anderen Form in das Plenum des Nationalrats zu verlegen.
Sowohl Abgeordneter Gerhard Kurzmann (FPÖ) als auch Abgeordneter Michael Spindelegger (ÖVP) begrüßten
den lebendigen Gedankenaustausch bei der Enquete. Damit habe man das Ziel, einen Anfang in der parlamentarischen
Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union zu setzen, erreicht, sagte der ÖVP-Abgeordnete.
Im Übrigen zeigte sich Spindelegger auch zuversichtlich, "einen kleinen gemeinsamen Nenner" aller
Fraktionen bezüglich der Zukunft der EU zu finden, nachdem sich die Diskutanten in vielen Punkten - Kompetenzabgrenzung,
Verfassungsgesetzgebung, Demokratiefrage - doch in eine gewisse gemeinsame Richtung bewegt hätten.
Der positiven Beurteilung der Enquete schloss sich auch Nationalratspräsident Heinz Fischer an. Darüber
hinaus wies er darauf hin, dass das Parlament dabei sei, eine Broschüre zum Thema Post-Nizza-Prozess bzw.
Zukunft Europas anzufertigen. Was die Verlegung einzelner Debatten zu EU-Fragen vom Hauptausschuss in das Plenum
des Nationalrats betrifft, hält Fischer nach Gesprächen mit Vertretern der Regierungsparteien einen entsprechenden
Konsens für durchaus möglich.
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